Achtung Gewalt!

«Warnung: In diesem Raum finden sich Darstellungen von Folter und Gewalt, die auf manche Menschen verstörend wirken können!»

Ich warte auf den Moment, in dem die erste Kirche ein solches Schild an ihrem Eingang platziert, weil man findet, man könne die Darstellung von Jesus am Kreuz den Menschen nicht mehr zumuten.

Denn: Sogenannte Triggerwarnungen vor allem Möglichen, das jemanden verletzen, durcheinanderbringen oder retraumatisieren könnte, nehmen rasant zu. Auf der Website eines Theaterfestivals etwa finde ich Warnungen vor der Darstellung von: Polizei, Tod, antislawistischen Erfahrungen, Nacktheit, Saneismus (Kann mir jemand sagen, was das ist?), Suizid.

Ich möchte keinesfalls verharmlosen, wie tief das Erleben von Gewalt, Krieg oder Diskriminierung gehen kann und wie schwer es ist, mit solchen Traumata weiterzuleben. Wer als Seelsorger:in arbeitet, weiss das.

Was mich an dem beschriebenen Trend jedoch stört, ist die Tatsache, dass man den Betroffenen offenbar nicht mehr zutraut, damit einen Umgang zu finden, dass man sie fürsorglich bevormundet.

Weshalb zeigt Kunst denn Gewalt, Grenzverletzungen und Tod? Warum zeigt die Kirche den Tod am Kreuz? Weil beide sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, in der diese Dinge leider geschehen. Und weil sowohl Kunst wie Religion helfen, durch diese Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu leben. Denn leider kann uns niemand davor bewahren.

Ich betrachte es als Stärke des Christentums, dass es mit dem Kreuzestod Jesu die Abgründe des Menschseins dermassen ernst nimmt. Und ich glaube gerne an einen Gott, der im leidenden Jesus diesen Abgründen in die Augen blickt. Damit sieht er auch mir in die Augen. 

Abb: Matthias Grünewald, Kreuzigung, Isenheimer Altar, Polyptychon, 1512, Musée Unterlinden, Colmar, Frankreich