Alle Tränen

«Un homme blanc, un homme noir, un homme jaune: toutes les larmes sont salées»

Menschen unterscheiden sich. Etwa in der Farbe ihrer Haut, ihrem Geschlecht oder darin, über wie viel Geld und Einfluss sie verfügen.

In  wunderbarer Zuspitzung bringt der französische Autor Claude Aveline (1901 – 1992) in dem Aphorismus auf den Punkt, was uns dennoch verbindet: die Menschlichkeit, die sich zum Beispiel in gemeinsamer Leidensfähigkeit zeigt. Alle weinen wir, wenn wir Schmerz erleiden, um Verstorbene trauern, unsere Heimat verloren haben…
„Ein weisser Mensch, ein schwarzer Mensch, ein gelber Mensch: Alle Tränen sind salzig.“

Der Satz ist mir in Paris zugefallen, wo Wahlkampf herrschte und eine nationalistische, klar ausländer:innenfeindliche Partei die Regierung Frankreichs übernehmen könnte.
In einer Zeit, in der in den USA ein ebenso nationalistischer und demokratiefeindlicher Mann erneut Präsident und in Deutschland eine Partei derselben Ausrichtung in einigen Bundesländern stärkste Kraft werden könnten.
In einer Zeit, in der man wieder Kriege gegen die Zivilbevölkerung führt.

Und all die mühsam errungenen Fortschritte der Abrüstung und der Regelung von Konflikten durch Organisationen wie der EU, der UNO und internationaler Gerichte werden plötzlich infrage gestellt. Erstaunt sehen wir, wie Menschen wieder nach Hautfarben, einheimisch oder fremd oder anderen diskriminierenden Kriterien eingeteilt werden.

Claude Avelines Satz ist brandaktuell. Er hat ihn 1948 formuliert, kurz nach dem Weltkrieg. Seine Eltern hatten als Juden im zaristischen Russland Diskriminierung erfahren. Er selbst engagierte sich im Widerstand gegen den Faschismus. Er wusste es aus eigener Erfahrung: Alle Tränen sind salzig.

Foto: Anna Shvets. Quelle: Pexels (https://www.pexels.com/de-de/foto/menschen-frauen-augen-kontrast-4557830/)