Missverstehen

Schon einmal von Wiios Gesetz gehört? Osmo Antero Wiio lebte von 1928 bis 2013 und war Soziologieprofessor, Kommunikationsforscher sowie Abgeordneter im finnischen Parlament. Er übertrug sozusagen Murphys Gesetz auf den menschlichen Dialog und formulierte es so: «Kommunikation schlägt normalerweise fehl, ausser durch Zufall.» Er fand für seine These gern unterschiedliche Ausdrucksweisen, zum Beispiel: «Wenn die Kommunikation scheitern kann, wird sie es auch tun.» Oder: «Wenn eine Botschaft auf unterschiedliche Weise verstanden werden kann, wird sie genau auf die Weise verstanden, die am meisten Schaden anrichtet.» Ziemlich pessimistisch, nicht wahr?

Osmo Antero Wiio; Quelle Wikimedia Commons

Wiio erklärte es damit, dass an einer Unterhaltung nicht nur zwei, sondern tatsächlich sechs Personen beteiligt seien: die Person, für die

  1. du dich selbst hältst
  2. du die andere Person hältst
  3. in deiner Annahme die andere Person dich hält
  4. die andere Person sich selbst hält
  5. die andere Person dich hält
  6. in der Annahme der andere Person du sie hältst.

Wir alle wissen, wie schnell eine Aussage «in den falschen Hals» geraten kann, und bei so vielen Ebenen verwundert das nicht. Wiios Gesetz spricht für mich nicht dagegen, das Reden miteinander immer wieder zu versuchen. Doch es weist mich darauf hin, sehr aufmerksam zu sein und zurückhaltend mit der Interpretation der Aussagen meines Gegenübers. Es lädt dazu ein, einander mit Wohlwollen zuzuhören, mehr nachzufragen und weniger zu raten oder etwas anzunehmen. Missverständnisse sind herausragende Anlässe für Trennung und Konflikt. Doch ein überwundenes Missverständnis schafft eine noch grössere und tiefere Verbundenheit.