Am Anderen reifen

Bestimmte Menschen sind mir von Anfang an sympathisch, mit anderen habe ich meine liebe Mühe und rege mich schnell über sie auf. Von bestimmtem Verhalten fühle ich mich persönlich verletzt und ein Groll entsteht in mir. In unterschiedlichem Ausmass unterliegen wir alle solchen Emotionen und Mustern, die sich verhärten und zu Feindschaft führen können. Unangenehmen Menschen aus dem Weg zu gehen, ist auch keine Lösung: Es schränkt uns ein und ist oft auch gar nicht möglich, etwa am Arbeitsplatz, in der Verwandtschaft und in der Familie. Wie also mit den Konflikten umgehen, die das Zusammenleben unweigerlich mit sich bringt?

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Diese Frage beschäftigte auch Benedikt von Nursia, der in der Zeit der ausgehenden Antike eine religiöse Gemeinschaft gegründet hatte. Es sah realistisch, dass mit dem Bemühen um ein gottgefälliges Leben die zwischenmenschlichen Spannungen nicht einfach verschwinden. Sein Verdienst ist es, eine Regel für das klösterliche Leben verfasst zu haben, die bis heute in vielen Ordensgemeinschaften die wesentliche Leitschnur ist.

In Kapitel vier stellt Benedikt dort «Werkzeuge der geistlichen Kunst» vor. Es sind nicht nur Gebet, Arbeit und fromme Übungen. Die Liste endet folgendermassen: «Niemanden hassen, keine Eifersucht hegen, nicht aus Neid handeln, den Streit nicht lieben, Überheblichkeit meiden, die Älteren ehren und die Jüngeren lieben, in der Liebe Christi für die Feinde beten, nach einem Streit vor Sonnenuntergang zum Frieden zurückkehren und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln.»

Diese Aufzählung lese ich so, dass der Mitmensch, mit dem ich Mühe habe, der mich aufregt, nicht ein unvermeidliches Übel ist, sondern ebenso ein Weg zu Gott wie Gebet und Meditation. Meine Aversionen gegen eine Person machen mich auf eigene Anteile aufmerksam, die ich verdränge und noch nicht akzeptieren kann. Einander wohlwollend zu begegnen, uns zu versöhnen, ermöglicht Heilung und Reifung, schafft Raum für Gott in unserer Mitte. Hier entdecke ich eine der Perlen aus dem Schatz des heiligen Benedikt von Nursia, den die Kirche heute feiert.