Antwort oder Wort

«Gott, so denkt man oft, so verkünden Eiferer lauthals, sei Antwort. Spröder sagt die Bibel, dass er Wort sei. Und wer weiss, vielleicht ist er meistens Frage: die Frage, die niemand sonst stellt.»
(aus: Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz. Notizen, Darmstadt, 1979)

Nicht selten kommen Menschen in ein Seelsorgegespräch mit der Hoffnung, dass man als Pfarrer, als Theologin Antworten parat habe. Oder jemand kommt mit der klaren Haltung, die Bibel kenne die Antwort auf ihre/seine Probleme.

Der Berner Pfarrer und Autor Kurt Marti bringt es wunderbar auf den Punkt: Die Bibel ist Wort Gottes, nicht Antwort. In der Bibel werde ich angesprochen, manchmal von einer Geschichte oder einem Psalm mitgenommen, bewegt, so dass Hoffnung wach oder Trost spürbar wird.

Bezeichnenderweise wird Jesus im Neuen Testament nicht als Weiser beschrieben, der für Antwortsuchende zur Verfügung steht, sondern er spricht Menschen an und fordert sie auf, ihm nachzufolgen. Oder er handelt an ihnen. Keine Antworten also, sondern ein Geschehen: Mitgehen, Veränderung, Heilung.

Oder, wie Marti schreibt, Gott ist Frage: stellt infrage, was sonst unhinterfragt bleibt, stellt vielleicht auch infrage, was ich über ihn/sie denke und glaube.

Dazu eine kleine Anekdote:
«Kommt ein Mann mit Traktaten auf jemanden zu, streckt ihm eines hin und sagt: ‘Du brauchst Gott!’
‘Das weiss ich’, antworte dieser, ‘aber ob Gott dich braucht, da bin ich nicht so sicher.’»

Abb: Felix Hoffmann, Hören, Glasfenster Reformierte Kirche Bellach/SO, 1957. Foto: Hans Fischer