• Der glückliche Schuster

    Es war ein armer Schuster, der war so glücklich, dass er von morgens bis abends sang. Viele Kinder standen vor seinem Fenster und hörten ihm zu. Neben dem Schuster lebte ein sehr reicher Mann. Der zählte die ganze Nacht seine Goldstücke. Tagsüber konnte er nicht schlafen, weil er den Schuster singen hörte. Eines Tages lud er den Schuster ein und schenkte ihm einen Beutel voll Goldstücke. Nie in seinem Leben hatte der Schuster soviel Geld gesehen. Es war so viel, dass er Angst hatte, es aus den Augen zu lassen. Darum nahm er es mit ins Bett. Auch dort musste er immer an das Geld denken und konnte nicht einschlafen.…

  • Gott liebt dich

    Ich wollte es schon lange tun: diesen verflixten Nachsatz doppelt streichen, den ich hier nicht nochmals nennen möchte, weil er ein Unglückssatz ist.Dieser Nachsatz, beinhaltet alles, was man an Negativem zu jemandem sagen kann und der sich in Seelen als traurige Selbstannahme manifestiert: So, wie ich bin, habe ich es nicht verdient, dass jemand etwas für mich tut.So, wie ich bin, bin ich nicht richtig.So, wie ich bin, wird bei meinem Anblick niemand lächeln.So, wie ich bin, bin ich nicht schön genug. Vielleicht gehören Sie zu den Gesegneten, denen diese abwertende Haltung nie begegnet ist, und zu denen dieser Satz so oder in einer Variante nie gesagt wurde, nicht von Eltern,…

  • Getragen

    Wenn ich im See zum Baden gehe, kraule ich zuerst ein ganzes Stück am Ufer entlang. Ich freue mich an meiner eigenen Bewegung, spüre meine Kraft, fühle, wie ich gleite, nehme den Rhythmus von Einatmen und Ausatmen ins Wasser wahr. Kommt der Moment, in dem ich müde werde, lege ich mich auf den Rücken. Ich liege ganz still und staune jedes Mal, dass ich treibe. Ich bewege mich nicht, ich liege, ich schwebe. Mit den Ohren im Wasser ist alles still, es gluckert nur ein wenig. Habe ich die Augen auf, sehe ich Blau, Wolken, Licht, schliesse ich die Augen spüre ich die Wärme auf meinem Gesicht, das warme Seewasser…

  • Vom Winde verweht

    Hans Rhyner verkauft Surprise und macht Soziale Stadtrundgänge, die bei uns in der Bahnhofkirche beginnen. Folgenden Text hat er in einem Workshop für das Strassenmagazin geschrieben. Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich köstlich amüsiert, als der Böögg dieses Jahr nicht angezündet werden durfte. Weil es stürmte. Riesenaufregung. Grosses Desaster. Ich hätte es ihnen von Anfang an sagen können, aber mich haben sie ja nicht gefragt. Ich bin in Elm aufgewachsen. Im hintersten Sernftal. Wo der Föhn bläst. Und wo mein Vater Nachtwächter war. Von abends 10 Uhr bis morgens 4 Uhr war er unterwegs. 1962 bis 1970. Auf seiner Tour gab es fünf Uhren-Posten zur Kontrolle, da musste er…

  • Kopf oder Herz?

    Mein lieber Schutzengel! Etliche Jahre arbeite ich schon unter dem Schatten deiner goldenen Flügel. Auch wenn diese klein geratenen, löchrigen Dinger kaum als Schattenspender taugen. Mich stört das nicht. Du bist trotzdem sehr präsent, wie Du da oben über allem schwebst, was in der Bahnhofhalle so herumwuselt. Alle treffen sich gerne «unter dem Engel» und möchten etwas von Deinem Schutz auf ihren Weg mitnehmen: Liebespaare, Reisegruppen, Schulklassen… Obwohl ich Dich schon so lange kenne und Dir immer wieder begegne, ist mir erst jetzt aufgefallen, wie klein Dein Kopf geraten ist. Offensichtlich spielt dieser für Deine Aufgabe als Schutzengel nur eine untergeordnete Rolle. Wenn es darum geht, uns Menschen vor allem…