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Mittendrin
«Die Fische eines Flusses sprachen zueinander: ‹Manche sagen, dass unser Leben vom Wasser abhängen soll. Was ist denn dieses Wasser? Wir haben niemals Wasser gesehen.› Einige waren klüger als die anderen und antworteten: ‹Draussen im Meer soll ein Fisch leben, der alle Dinge weiss. Lasst uns zu ihm schwimmen und ihn bitten, dass er uns das Wasser zeigt.› Eine Gruppe machte sich also auf in Richtung Meer. Schliesslich fanden sie den weisen Fisch und brachten ihm ihr Anliegen vor. Der alte Fisch hörte sie an und sagte dann: ‹Wie soll ich euch Wasser zeigen? Ihr bewegt euch ja darin und lebt darin. Aus dem Wasser kommt ihr, im Wasser endet…
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Aus der Stille schöpfen
Inzwischen ist der Achtsamkeitskurs, den ich besucht habe, zu Ende. Regelmässig übten wir dort, in der Stille zu meditieren, und wir verbrachten in der Stadtoase Zürich sogar einen ganzen Tag im Schweigen. Ein paar der Teilnehmenden berichteten, dass es ihnen schwerfiel, über solch einen Zeitraum mit niemandem in Kontakt zu kommen und auf ihr Smartphone zu verzichten. Als ein eher introvertierter Mensch hat mir der Achtsamkeitstag durchaus gefallen, und Zeit mit mir allein tut mir oft gut. Zugleich beobachte ich, wie die Stille andererseits auch etwas Beunruhigendes hat, dem ich auf alle möglichen Weisen zu entfliehen versuche, etwa mittels des Radios oder sozialen Medien. Was macht es mir manchmal so…
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Reinen Herzens
Heute vor 1264 Jahren starb Otmar von St. Gallen auf der Insel Werd, Als Alemanne war er Opfer von politischen Auseinandersetzungen geworden, welche die neue Vorherrschaft der Franken mit sich brachte. Es muss eine äusserst herausfordernde Zeit voller Rechtsunsicherheit gewesen sein. Vierzig Jahre zuvor wurde er zum Vorsteher der kleinen und kränkelnden Mönchskommune beim Gallusgrab berufen. Mit begeistertem Engagement widmete er sich dieser Aufgabe und legte so den Grundstein für die spätere Grösse das Klosters St. Gallen. Während seiner Zeit entstand die erste steinerne Kirche und die Gemeinschaft wuchs um 53 Mönche. Trotz seines Erfolgs und seines wachsenden Einflusses entwickelte Otmar keine Allüren. Fast achtzig Jahre nach seinem Tod berichtet…
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Sichtbarer werden
«Jemand sollte mal den Abfall rausbringen.» – «Wenn man so angestarrt wird, fühlt man sich unwohl.» Ob im Zweiergespräch oder in Gruppen: Oft erlebe ich unpersönliche Formulierungen, wo eigentlich «Du» oder «Ich» gemeint sind. In ebendiese Gewohnheit falle ich selbst mehr als mir lieb ist und ich frage mich: Warum ist das so? Möglicherweise hat es einen kulturellen Hintergrund. Selbstlosigkeit zählt zu den hohen Werten und wird schon früh an Kinder weitergereicht. «Spiel dich nicht so auf! Sei bescheiden und halte dich ruhig!» Menschen können verlernen, sich selbst wahrzunehmen und Bedürfnisse offen zu benennen. Sie fangen an zu reden wie im Beispiel mit dem Abfall anstatt zu fragen: «Würdest du…
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Bedenkenswert
Die sogenannte «Lebensregel von Baltimore» verdankt ihren Namen einem Irrtum. Eigentlich stammt der Text mit dem Titel «Desiderata» vom amerikanischen Anwalt und Autor Max Ehrmann. Auch nach bald 100 Jahren sind die Worte bedenkenswert und werden hier leicht gekürzt in eigener Übersetzung wiedergegeben. «Mitten in Lärm und Eile wandle sanft und bedenke, welcher Friede in der Stille zu finden ist. Stelle dich so weit wie möglich und ohne dich aufzugeben gut mit jeder Person. Sprich deine Wahrheit ruhig und deutlich, und höre anderen zu, selbst den Langweiligen und Unwissenden. Sie haben ebenfalls ihre Geschichte. Meide die Lauten und Aggressiven; sie sind eine Qual für das Gemüt. Wenn du dich mit…