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For You
«Ich habe dich gespürt und ich wusste, dass du mich liebst.» Solch einen Satz hatte ich nicht in einer Kirche erwartet. Eher in einem Liebesfilm oder einem Roman. Aber ich bin in der anglikanischen Kathedrale von Liverpool auf ihn gestossen. Die Künstlerin Tracey Emin hat die Worte auf Englisch und in rosa Neonschrift über dem westlichen Ausgang installiert – unter einem imposanten Glasfenster. Seit 2008 gehört das Kunstwerk mit dem Titel «For You» (Für dich) zur Ausstattung der Kirche. Die Worte haben mich sofort berührt. Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn man nach dem Besuch der Kirche durch diese Türe hinausgeht und das liest: «I felt you and…
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Reisen und Gott
Für die Reihe von Gastbeiträgen unter dem Motto «Gott, wie ich ihn/sie sehe» hat unser Freiwilliger Mitarbeiter Karl-Heinz Dürscheid folgenden Beitrag geschrieben: Vor einigen Wochen habe ich eine Reise nach Schottland unternommen. Schon die Fahrt mit dem schnellen Zug unter dem Ärmelkanal hindurch und die weiten grünen Landschaften Englands mit ihren Hecken und Steinwällen waren beeindruckend. Dort selbst waren es die Stille der Wälder, die vielen Schafe und Rinder auf den saftigen Wiesen, die unzähligen Burgen und im Norden das Meer mit seinen Felsen und Steilküsten: einfach atemberaubend. Ich habe mich gefragt, ob in dieser grossartigen Natur nicht eine grosse Kraft deutlich wird, die alles Leben und Vergehen am Laufen…
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Ist das Gott oder kann das weg?
In der Freitagsausgabe des Weg-Wortes äussern sich derzeit Mitarbeitende der Bahnhofkirche zum Thema „Gott, wie ich ihn/sie sehe“. Der heutige Beitrag stammt vom reformierten Seelsorger Pfarrer Matthias Berger. Im Lauf meines Lebens hat sich mein Gottesverständnis vielfach gewandelt. Viel von dem, was ich mal glaubte, kann heute weg, weil ich es nicht mehr mit Gott in Verbindung bringe. Etwa die Vorstellung, Gott greife unmittelbar ins Weltgeschehen ein, oder Gott habe den Opfertod von Jesus gebraucht, um sich mit uns Menschen versöhnen zu können. So ist Gott in meinem Leben abgespeckt worden und steht klein und schlank vor mir. Was mich heute vor allem bewegt: Das Leben im Diesseits und die…
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Umschlossen
In der biblischen Erzählung vom Paradies sind die Menschen nackt. Und erst in dem Moment, in dem sie vom Baum der Erkenntnis essen, werden sie sich dieser Nacktheit bewusst. Die Scham ist da! Sie fallen sozusagen aus dem unschuldigen Kindheitszustand heraus in die Wirklichkeit dieser Welt – jenseits von Eden. In der Welt aber – so erzählt der Bibeltext dann – gibt es Schmerzen, Gewalt, Mühsal und den Tod. Hier ist der Mensch ausgesetzt. Er wird schutzbedürftig. Deshalb erhält er von Gott Kleider aus Fell. Die Zeit der seligen, ungefährdeten Nacktheit ist vorbei. Diese Gedanken kommen mir, während ich die Kunstinstallation …hinter den Wolken… betrachte, die noch bis am 29.…
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Kantiges
Vor 300 Jahren ist der Philosoph Immanuel Kant geboren worden. Viel wichtiger finde ich jedoch, was Kant kommenden Montag vor 240 Jahren getan hat: Am 30. September 1784 veröffentlichte er seine Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ Sie beginnt mit dem Donnersatz: «Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.» Es gehe darum – so Kant – «…sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen.» Diese Aussagen sind heute so aktuell wie damals. In einer Zeit, in der notorische Lügner und Verächter der Demokratie, in der Vertreter:innen von Parteien ohne erkennbares Programm von freien Menschen in politische Ämter gewählt werden, scheint es vielen durchaus am…