• Palmsonntagsjubel – Karfreitagshetze

    Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern. Übermorgen beginnt die Zeit der Besinnung auf den Leidensweg Jesu – und auf seine Auferweckung aus dem Tod. Die biblischen Texte zum Palmsonntag beschreiben, wie Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Von den Umstehenden wird er bejubelt: Er komme im Namen Gottes und sei ein König, der Frieden bringe. Kurz darauf – am Karfreitag – wird die Stimmung umschlagen. Jetzt fordern die Massen mit derselben Vehemenz den Tod des Gefeierten. Er wird verurteilt und am Kreuz hingerichtet. Diese Texte sind mit erheblicher Distanz zu den Geschehnissen verfasst worden, und die Evangelien sind nicht Tatsachenberichte, sondern kunstvoll komponierte Glaubensbücher, die die Bedeutung des Jesus erschliessen wollen.…

  • Das Kreuz mit dem Ei

    An Ostern werden viele Menschen wieder Eier tütschen. Das gehört ja zu dem Fest. Aber was hat der Brauch eigentlich mit dem christlichen Inhalt von Ostern zu tun? An diesem Tag feiern wir die Auferstehung von Jesus, die Überwindung des Todes durch den Gottessohn. Bunt bemalte Eier, die man aufeinanderschlägt und dann isst, hätten nichts damit zu tun, finden manche christliche Gruppierungen. Wirklich? Eier sind Räume verborgenen neuen Lebens. In ihnen wachsen Küken heran, die dann mit ihrem Schnabel die harte Eierschale zertrümmern und ins Leben hinausdrängen. Deshalb haben Eier mit Ostern zu tun: Sie sind Symbole für die Auferstehung. Das hier abgebildete Kreuz in der Zürcher Andreaskirche bringt den…

  • Ein Mensch

    Eine einsame, verlorene Gestalt an der Kante einer Mauer. Sie steht nicht irgendwo, sondern mitten im Zentrum Londons. Und zwar auf einem leeren Denkmalsockel des belebten Trafalgar Squares. Die Gestalt ist fast nackt. Und trägt sie nicht eine Krone? Nein, das ist vergoldeter Stacheldraht. „Ecce Homo“ ist der Titel dieser Skulptur, zu Deutsch: „Da ist der – oder ein – Mensch“. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus der Passionserzählung des Johannesevangeliums. Jesus ist verhaftet und dem römischen Statthalter Pilatus vorgeführt worden. Dieser hat ihn misshandeln und auspeitschen lassen. Nun wird er – aus Spott mit einer Dornenkrone gekrönt – dem Volk vorgeführt, begleitet von eben diesen Worten des…

  • Der Rabbi und ich

    Man hatte mir gesagt, ich solle mir keine Hoffnung machen, der Rabbi werde sich gewiss nicht um eine Frau kümmern, die nicht zum Volk Israel gehöre. Aber das war mir egal. Ich wollte nur eins: Dass Channa wieder meine vertraute, liebe Tochter werden würde. Dass diese furchtbare Angst vor den Stimmen des Dämonen ein Ende finden würde. Also lief ich hinter dem Rabbi her und rief: „Hab Erbarmen mit mir, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon furchtbar gequält.“ Er ignorierte mich. Ich schrie weiter, so lange, bis seine Freunde ihn baten, er solle sich endlich um mich kümmern. Dass er nicht mit mir, sondern mit ihnen sprach,…

  • Extrem verletzlich

    Ron Mueck ist ein australischer Künstler, der hyperrealistische menschliche Figuren aus Fiberglas und Silikon herstellt. Dabei sind diese immer entweder deutlich grösser oder kleiner als ein lebender Mensch. Und es sind keine Promis, sondern Menschen wie du und ich. In einem Kunstmuseum habe ich eines seiner bekanntesten Werke erlebt: „Dead Dad“ (Toter Vater; 1996/97). Es stellt den nackten Leichnam von Muecks Vater dar. Absolut naturgetreu, aber nur 102 cm gross. Die Skulptur war auf einem grossflächigen, ca. 50cm hohen Sockel in einem völlig leeren Raum ausgestellt. Wenn man diesen Raum betrat, überkam einen eine andächtige Stille. Und obwohl es sich um eine kleine Figur in einem grossen Raum handelte, entfaltete…