• Mit dem Teufel in der Wüste

    Die Fastenzeit, die jetzt begonnen hat, dient den Christ:innen unter anderem  als Zeit der Selbstbesinnung: Wer bin ich? Wer bin ich vor Gott? Laut den Evangelien hat auch Jesus während 40 Tagen in der Wüste gefastet. Bezeichnenderweise geschah dies ganz am Anfang seines Weges als Messias. Davor erfahren wir, dass er sich am Jordan hat taufen lassen und die Stimme Gottes ihn als seinen geliebten Sohn bezeichnet. Man kann also sagen: Jesus ist als Sohn Gottes bestätigt und nun bereit, öffentlich zu wirken. Der Rückzug ins Fasten in der Wüste dient der letzten Selbstbesinnung: Wer ist er vor Gott, wenn er „Sohn Gottes“ ist? Der Bibeltext erzählt von Versuchungen durch…

  • Zu Geschichte werden

    2018 wurden die berühmt-berüchtigten 68er-Jahre gewürdigt. Ein halbes Jahrhundert war es her, dass die revolutionären Umbrüche die Gesellschaft markant liberalisierten, alt hergebrachte Hierarchien in Frage stellten und neue persönliche Freiheiten ermöglichten. Viele Bücher und Artikel über diese Zeit wurden herausgebracht. Und dies auch von Menschen, die die 68er-Jahre nicht selbst erlebt hatten, sie nur aus mündlichen Berichten und schriftlichen Quellen heraus beurteilten. Natürlich kamen sie teilweise zu anderen Einschätzungen als diejenigen, die damals jung gewesen waren. Ein Journalist bemerkte, genau dies sei ein Kennzeichen dafür, dass Ereignisse Teil der Geschichte werden: wenn eine Generation die Deutungshoheit über ihre eigene Zeit verliert und eine nächste diese aus Distanz bewertet – und…

  • Ismael – der Bruder

    Lieber Ismael Ich kenne dich nicht sehr gut. In meiner christlichen Tradition bist du eine Randfigur. Zwar schon ein Kind Abrahams, aber der Wichtige ist dein jüngerer Halbbruder Isaak. Du verschwindest dann schnell irgendwo in der Wüste, und man hört nichts mehr von dir. Dabei: Wenn ich genau hinschaue, was ich in meiner Bibel über dich erfahre, dann komme ich ins Staunen! Als Gott mit deinem Vater einen Bund schloss, der ihm reiche Nachkommenschaft verhiess und dessen Zeichen die Beschneidung war, da wurdest du ausdrücklich auch beschnitten und also in diesen Bund mit dem Gott, an den ich glaube, aufgenommen. Nicht genug! Darüber hinaus wurdest du von Gott noch speziell…

  • Männersegen

    Während längerer Zeit hatte ich am Spiegel meines Badezimmers eine Karte befestigt. Jeden Morgen beim Aufstehen sah ich sie. Sie zeigte zwei Männer am Meer. Der eine, offensichtlich ältere, legte dem jüngeren, der übers Meer hinausblickte, seine Hand auf die Schulter. Kitschig? Vielleicht. Dennoch hat mir die dargestellte Szene damals gutgetan. In der klaren und doch zärtlichen Berührung lag für mich Kraft und Bestärkung, die ein Stück weit auf mich übersprang. Etwas genuin Väterliches lag in dem Kontakt zwischen älterem und jüngerem Mann. Als ob hier die liebevolle, bestätigende männliche Energie eines Vaters an seinen Sohn weitergegeben würde. Ich empfand die Szene auch als Bild des Segens: Die lebensfördernden Kräfte,…

  • Pläne zerreissen

    Zerreiß deine Pläne. Sei klug Und halte dich an Wunder. Diese Worte sind Teil des Gedichts „Rezept“ der deutsch-jüdischen Dichterin Mascha Kaléko. Die Sätze springen einen an mit ihren unkonventionellen Aufforderungen. Pläne zerreissen? Das scheint unklug. Pläne sind doch wichtig! Und an Wunder kann man sich eigentlich nicht halten. Man verfügt nicht über sie. Sie geschehen unerwartet. Wie sollte ich mich an sie halten können? Aber genau diese Absage an unsere herkömmliche Lebenslogik macht die Kraft der Worte aus. Sie setzen eine andere Logik dagegen. Eine, die befreiend klingt („Zerreiss deine Pläne“), die aber auch herausfordert. Mich an Wunder halten heisst nichts anderes, als mich dem Unerwartbaren auszusetzen und zu…