Barca Nostra
Im Weg-Wort vom 25. Februar wurde die Skulptur «Angels Unawares» beschrieben, die sich seit 2019 auf dem Petersplatz in Rom befindet. Sie zeigt ein Schiff voller Menschen und weist damit auf die Schicksale von Flüchtenden weltweit hin, die ihre Heimat verlassen mussten und grossen Gefahren ausgesetzt sind.
2019 gab es in Italien aber noch ein weiteres Kunstwerk in Form eines Schiffes zu sehen, und zwar in Venedig während der Kunstbiennale. Dabei handelte es sich allerdings um ein «richtiges» Boot. Vielmehr: um das arg lädierte Wrack eines Fischerbootes. Was sollte dieses Werk mit dem irritierenden Titel «Barca Nostra» (Unser Boot), das der Schweizer Künstler Christoph Büchel installiert hatte?
Wer sich darauf einliess, erfuhr, dass es im April 2015 – völlig überfüllt mit 500 oder mehr Flüchtenden aus Afrika und Asien – im Mittelmeer gesunken war. 28 Menschen überlebten, nur 27 Leichen konnten geborgen werden.

Gerade weil es so leer dastand, wies mich das Boot auf die hin, die fehlten: auf all die namenlosen Toten. Durch seine unspektakuläre und stumme Anwesenheit machte mir dieses Wrack die Katastrophe greifbar.
Und der Titel «Barca Nostra»? Dass man unweigerlich an «Padre nostro», also den Beginn des Unser-Vater-Gebets dachte, ist sicher kein Zufall. Und noch weniger, dass das italienische Wort für Arche «arca» lautet. Das biblische Schiff Arche Noah ist ein Bild für die Rettung von Mensch und Tier in lebensbedrohenden Katastrophen. Die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Nord und Süd sowie die europäische Abschottungspolitik aber machen die rettende arca zur sinkenden Barca. So konnte dieses Wrack auch als stumm-schreiendes Gebet verstanden werden: Im Namen Gottes, dies ist auch unser Boot. Was da geschehen ist, geht uns an!
Abb: Christoph Büchel, Barca Nostra, Biennale Venedig, 2019. Foto: Jean-Pierre Dalbéra, flickr