Bei mir beginnen
Heute, am 27. Januar vor 80 Jahren, wurde das Konzentrationslager in Auschwitz befreit, in dem zwischen 1940 und 1945 über eine Million Menschen einen grausamen Tod fanden. Jahrestage wie dieser erinnern daran, wozu Menschen in der Lage sein können, wenn Gewalt entfesselt wird, Menschlichkeit verloren geht, Mitgefühl der Grausamkeit weicht und eine kranke Ideologie alles mit sich in den Abgrund reisst.
Als ich in der Schulzeit über das Ausmass des Grauens während der NS-Zeit erfuhr, konnte ich tagelang nicht mehr richtig schlafen. Mich bewegte die Frage: Wie nur können Menschen anderen Menschen derart grausame Dinge antun? So wirklich habe ich in all den Jahren keine Antwort darauf gefunden, aber etwas hat sich doch verändert. Als Jugendliche war ich mir sehr sicher, dass so etwas wie in der NS-Zeit niemals wieder passieren würde. Diese Gewissheit beginnt inzwischen zu bröckeln.
Der neuen Verrohung – Hassrede ohne Scham, Gewalt ohne Gnade, Fronten, die zwischen Religionen, Nationen, Kontinenten hochgezogen werden – möchte ich etwas entgegensetzen. Doch wo nur anfangen? Lassen wir Elie Wiesel zu Wort kommen, einem der wenigen Menschen, die Auschwitz überlebt haben: «Die Welt ist so gross. Ich werde also mit dem Land beginnen, das ich am besten kenne, mit meinem eigenen. Aber mein Land ist so gross. Ich fange doch lieber mit meiner Stadt an. Aber meine Stadt ist so gross. Am besten beginne ich mit meiner Strasse. Nein, mit meinem Haus. Nein, mit meiner Familie. Ach was, ich beginne bei mir.»