Beschenkende Leere

Über meine Erfahrungen und Schwierigkeiten mit dem Meditieren habe ich am Montag im Weg-Wort berichtet, insbesondere vom unangenehmen Erleben der inneren Leere, die mir anfänglich viel Mühe und Angst bereitet hatte. Mit der Zeit stieg in mir die Erkenntnis auf, dass mein Verhältnis zu diesen ungreifbaren dunklen Abgründen so einiges über mein Gottesverständnis aussagt.

Denn wer war Gott für mich, wenn mir die Erfahrung der Leere so unerträglich und bedrohlich erschien? Ist Gott einer, der sich von gewissen Orten zurückzieht und mich – und viele andere Menschen – der Verlassenheit und ihrem Schicksal überlässt? Oder ist er zwar da, aber im Hintergrund lauernd, unerkennbar und genau beobachtend, wie ich mich verhalte, mich be- oder gar verurteilend?

Impulse für eine Antwort erhielt ich von unerwarteter Seite, von den Naturwissenschaften, die sich mit dem ganz Grossen und ganz Kleinen befassen, der Astrophysik und der Teilchenforschung. Beide Fachgebiete beschreiben, wie verschwindend gering das Beobachtbare gegenüber dem leeren Raum ist: «Benachbarte» Sterne sind viele Lichtjahre voneinander entfernt. Und stellt man sich die Elektronenhülle eines Atoms auf ein Fussballfeld vergrössert vor, dann wäre der Kern gerade mal so gross wie ein Reiskorn. Je nach Beobachtung können Atomteilchen sogar «verschwinden» und wie Wellen erscheinen.

Sternenhimmel über dem Observatorium von Saint-Barthélemy im Aostatal; Bildquelle: Wikimedia Commons

Aufs Ganze gesehen ist der Leerraum das Vorherrschende, alles Durchdringende und das Wahrnehmbare bloss eine marginale Ausnahme. Gleichwohl sind aus dieser Konstellation wunderbarerweise die Erde, das Leben in seiner Vielfalt und wir selbst entstanden. Ich stelle mir Gott vor wie den leeren Raum, der alles durchwirkt und alles hält, unbegrenzter Ermöglicher und Liebhaberin aller Existenz. Das hat mein Meditieren und die Erfahrung der Leere völlig verwandelt: Ich kann mich ihr nun ohne Angst hingeben und werde manchmal beschenkt mit unerwarteten Inspirationen, die mir aus ihr entgegenkommen.