Bildersturm
Eine Wanderung durch das Val Lumnezia in Graubünden versetzte mich zurück in die konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts. Die Anhänger der Reformation zerstörten dort in ihrem Eifer für die neue Sache wertvolle Kulturgüter. In Duvin, einem Dorf auf der rechten Talseite, gab es in der Kirche eine Pietà – also eine Skulptur, die darstellt, wie Maria nach der Kreuzesabnahme den toten Jesus beweint. Es wird erzählt, dass die Reformierten die Pietà über eine Felswand ins Tobel stürzten. Die katholischen Talbewohner auf der anderen Seite des Flusses retteten sie und hüten sie bis heute wie einen Schatz in ihrer Kapelle.
Als reformierter Pfarrer schäme ich mich über den Akt von damals. Mit dem Stürzen der Pietà hat man die eigene Pietät verloren. Es ging nicht nur darum, eine eigene Meinung zu vertreten, sondern auch darum, Menschen mit einem anderen Glauben zu verletzen.
Mit dem Entfernen der Kunstwerke haben sich die Reformierten selbst geschadet. Das Wort ist nicht der einzige Zugang zum Glauben. Mich hat die reiche Tradition christlicher Kunst ebenso geprägt wie das Wort.
Inzwischen haben wir Reformierte unsere Fehler und Verfehlungen eingesehen. Wir bemühen uns um Erneuerung und Wiedergutmachung.In Duvins Nachbardorf Pitasch wurden die Fresken der Kirche, die seit der Reformationszeit unter einer Kalkschicht verborgen waren, wieder freigelegt. Die katholischen Glaubensgeschwister haben diese Erneuerung der reformierten Kirche mit inspiriert. Statt eines Bildersturms weht ein Geist der Erneuerung.