Bin ich jetzt alt oder doch noch jung?
Mit etwa 40 Jahren wurde ich alt. Auf einem langen geraden Weg fuhren mir von weitem drei kleine Buben mit ihren Trottinetts entgegen. Einer rief seinen Kameraden zu: «Achtung, da vorne ist ein alter Mann!» So hatte mich bisher noch niemand eingeschätzt.
Kürzlich besuchte ich den Friedhof des Ortes, wo ich meine erste Pfarrstelle ausgeübt habe. Zufällig kam ich zum Grab eines Mannes, den ich beerdigt hatte. Über lange Zeit hatte ich seine Frau in ihrer Trauer begleitet. Ich war damals gut 30. Der Mann und seine Frau waren für mich alte Leute. Jetzt sah ich auf dem Grabstein, dass er so alt wurde, wie ich heute bin. Ich fühle mich eigentlich nicht besonders alt, v.a. aber finde ich heute Menschen um 40 wahnsinnig jung.

Es ist beeindruckend, wie relativ unsere Wahrnehmung ist und wie sehr sie von unserer eigenen Lebenswirklichkeit abhängt. Staunen muss ich, wie unterschiedlich wir Zeit erleben. Als kleineres Kind war ein Sommertag im Freien unendlich. Heute bin ich überrascht, dass schon Abend ist.
Worte aus dem 2. Petrusbrief des Neuen Testaments fallen mir dazu ein:
«Ein Tag ist beim Herrn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind wie ein Tag.» (2. Petrus 3, 8)
Auch bei Gott ist die Zeit relativ. Die Idee einer klar getakteten Zeitlinie, die schnurgerade in die Zukunft weist, ist ein hilfreiches Konstrukt, mehr nicht. So versuche ich, mich v.a. auf den Moment zu konzentrieren und diesen intensiv zu erleben.
Ob ich dabei alt bin oder jung – ist relativ…
Abb: Foto: „Sanduhr wirft Schatten auf weißem Hintergrund – Symbol der Zeit“ von Marco Verch 👨🍳 via ccnull.de, CC-BY 2.0