• Unbehaglicher Trost

    An einem Heiligabend in meiner Jugendzeit besuchten wir als Familie die Christnachtfeier. Ganz hinten sass ein alles andere als festlich gekleideter Mann. Mitten in der Feier begann er zuerst leise, dann immer lauter vor sich hin zu schimpfen. Irgendwann wurde der vermutlich angetrunkene Einsame vom Sigristen aus der Kirche gewiesen. Bei uns löste das eine lebhafte Diskussion aus. Hatte man richtig gehandelt, weil der Mann die Feier gestört hatte? Oder war er im Gegenteil der lebendige Hinweis darauf, dass es an Weihnachten eigentlich um etwas ganz anderes geht als eine reichlich bürgerliche Behaglichkeit mit imposantem Weihnachtsbaum, feierlicher Musik und schönen Worten zu zelebrieren? Ging es nicht darum, sich um Menschen…

  • Der Sache wegen

    In Ken Mogis Buch «Ikigai – die japanische Lebenskunst» bin ich auf einen Abschnitt gestossen, in dem er von der Gagaku-Tradition berichtet. Dabei handelt es sich um einen besonderen Musik- und Tanzstil, der seit rund 1400 Jahren am japanischen Kaiserhaus dargeboten wird. Inzwischen hat Gagaku auch Platz gefunden auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Für unsere Ohren reihen Gagaku-Musiker eher ungewöhnliche Klänge aneinander – das mag an den fernöstlichen Instrumenten liegen – aber das ist letztlich unerheblich. Denn auch wenn man Gagaku-Darbietungen besuchen kann, so sind sie eigentlich nicht primär für Publikum gedacht. Die Musiker spielen ihre Instrumente und die Tänzer bewegen ihre Körper nicht, um Applaus für…

  • Die Macht der Liebe

    Wer kennt ihn nicht, Thomas Alva Edison (1847-1931), den Erfinder des elektrischen Lichts, der ersten Glühbirne. Mit seinen kongenialen Entdeckungen ebnete er ausserdem den Weg für die Telefonie, die Schreibmaschine, die Filmtechnik. Über tausend Patente hat er im Laufe seines Lebens angemeldet. Doch sein Lebensgang hätte ganz anders verlaufen können, wäre da nicht eine Mutter gewesen, die das Beste und Schönste aus ihrem Sohn herauszulieben imstande war. Anbei die unglaubliche Geschichte dieses Jahrhundertgenies: Eines Tages kam der kleine Thomas von der Schule und drückte seiner Mama einen Brief des Lehrers in die Hand. «Mein Lehrer hat gesagt, ich darf ihn nur dir zum Lesen geben – sonst niemandem.» Sie öffnete…

  • Verantwortung

    Kürzlich habe ich gehört wie im Mittelalter eine neu erbaute Brücke eröffnet wurde. Neben einem Gottesdienst und der Segnung der Brücke fand oftmals ein grosses Fest statt, bei dem Menschen auf der Brücke tanzten und feierten und sich über die neue Verbindung vom einen zum anderen Ufer freuten. Der Architekt aber, der musste während dieser Feier unter der Brücke verweilen. Quasi als Garant dafür, dass sein Bauwerk stabil und sicher ist. Ob sich das wirklich so zugetragen hat, konnte ich nicht mehr abschliessend herausfinden. Aber mir gefällt dieses Bild vom unter der Brücke stehenden Architekt so gut, dass ich es dennoch in diesem Weg-Wort erwähnen möchte. Es zeigt sehr plastisch,…

  • Nie verlernen, was anfangen heisst

    Zehn Tage jung ist nun das neue Jahr. Die Feste sind gefeiert, die Feuerwerke verglüht, die Champagnerflaschen entsorgt. Der Alltag hat uns wieder. Ob die hehren Vorsätze des Neujahrstages auch schon verraucht sind wie die glitzernden Feuerwerksornamente am Himmel der Silvesternacht? „Träumen wird man ja noch dürfen!“ Auch dass Vorsätze kurze Sätze machen, wusste man eigentlich. Diese haben im Moment, da man sie schmiedet, halt ihren besonderen Reiz. Immerhin deuten sie mitten im Faktischen das noch Mögliche an. „Träume nicht dein Leben. Lebe deine Träume!“, der Satz soll jedenfalls auch dieses Jahr an der Pinwand hängen bleiben. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal davon gesprochen, es gelte im Leben…