Christus als Leichnam
Das Gemälde «Der tote Christus im Grab» von Hans Holbein dem Jüngeren war zur Zeit seiner Entstehung, 1521 / 22, ein absoluter Tabubruch. Man geht davon aus, dass Jesus nie vorher so dargestellt worden war: Als sich bereits verfärbender, übel zugerichteter Leichnam mit klaffenden Wunden, gebrochenen Augen und halboffenem Mund. Ein Kadaver! Und dies in Lebens- (besser: Todes-)grösse (2m lang / 30,5cm hoch) und anatomischer Präzision.

Nach christlichem Verständnis ist Jesus ganz Mensch und ganz Gott. Holbein nimmt das Menschsein radikal ins Visier. Da liegt ein Toter aus Fleisch und Blut, mit Haut und Haar. Nichts, was auf Göttlichkeit hinweisen würde.
Oder liegt gerade in dieser schonungslosen Menschlichkeit das Göttliche verborgen? Der brutale Tod des Jesus konfrontiert mich mit der Wahrheit über den Menschen: Wir sind zu Liebe UND zu Grausamkeit fähig, wir leben, jubeln, leiden, sterben und verwesen.
Die Evangelien erzählen, dass der auferstandene Jesus die Wunden der Kreuzigung deutlich sichtbar auf sich trug. Er war von den Spuren seines Lebens gezeichnet. Also war die Auferstehung keine Überwindung des Menschseins, sondern ein Festhalten daran.
Erkenne ich darin das Göttliche an Jesus, dass er mich ans Menschsein hält, mich auf meine Hinfälligkeit und Sterblichkeit verweist? Und mich die Liebe zum Menschen lehrt?
Abb: Hans Holbein d.J., Der tote Christus im Grab, 1521 / 22, Kunstmuseum Basel. Quelle: Wikimedia Commons