Das grosse Ja

Für die Reihe von Gastbeiträgen unter dem Motto «Gott, wie ich ihn/sie sehe» hat unser Seelsorger Jürgen Rotner folgenden Beitrag geschrieben:

«Gott ist das, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann.» Anselm von Canterbury versuchte im 11. Jahrhundert mit dieser Definition Gottes Existenz zu beweisen und wurde dafür verschiedentlich kritisiert. Mich fordert dieser Satz seit dem Studium heraus: Wie gross kann ich denken? Wo mache ich Gott wegen der Grenzen meiner Vorstellungskraft kleiner?

Licht-Malerei von Subhrajyoti Saha; Quelle: Wikimedia Commons

Forschungen der Physik inspirieren mich. Das James-Webb-Weltraumteleskop blickt wie nie zuvor in die Tiefen des Alls und verschiebt den Horizont des Erkennbaren. Am CERN werden mit den Teilchenbeschleunigern immer kleinere Bausteine der Materie gefunden. In beide Richtungen ist das Greifbare verschwindend gering und die Leere überwältigend gross, und vermutlich werden wir hier wie dort nie an ein Ende stossen.

Die grenzenlose annähernde Leere im Kleinen und Grossen schenkt mir eine Ahnung vom Göttlichen. Es wollte, dass etwas ist und nicht nichts, öffnete den Raum der Zeit und liess das Spiel der Kräfte sich entfalten, liess Materie, Leben, Fühlen, Bewusstsein und Liebe hervorgehen. Das Göttliche ist der Raum der Ermöglichung und das grosse Ja zu allem, was existiert.

Wo wir liebevoll mit uns und der Mitwelt umgehen, haben wir Anteil an diesem universellen Ja, von dem die Künste singen und die Religionen erzählen. Was mir jetzt unbegreiflich und unerträglich erscheint, will mich zum heilsamen Aktivwerden anstiften. Dereinst werden wir im Licht der göttlichen Liebe alles verstehen, und die Trennungen werden überwunden sein.