Das Heilmittel

Wie die Trauer um einen Verlust jemanden ganz gefangen nehmen kann, und wie diese Person dort wieder herauskommt, davon erzählt eine fernöstliche Weisheitsgeschichte:

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«In einem kleinen indischen Dorf lebte einst ein Paar, das lange auf ein Kind warten musste. Als die Frau endlich schwanger wurde und gebar, waren beide überglücklich. Sie liebten das Baby mehr als alles, doch nach zwei Jahren wurde das Kind unerwartet krank und starb. Die Frau war am Boden zerstört. Sie konnte es einfach nicht wahrhaben, dass ihr Liebling nicht mehr sein sollte. Fest umklammerte sie den kleinen Leichnam, irrte im Dorf herum und fragte überall verzweifelt nach einer Medizin, die ihr Kind heilen könnte.

Damals lebte der Buddha noch, und so bat sie auch ihn um Hilfe. Er schaute die trauernde Mutter lange mitfühlend an und sagte dann: ‹Frau, ich weiss dir ein Heilmittel. Dazu brauche ich allerdings eine Schüsselchen voll mit Senfkörnern.› Sie horchte auf und der Buddha fuhr fort: ‹Die Körner müssen aus einer Familie kommen, in der noch nie jemand sein Kind, seinen Partner oder seine Eltern verloren hat. Der Tod darf dort niemals zu Gast gewesen sein.›

Die Frau besuchte ein Haus nach dem anderen und fragte nach den Körnern. Die Antwort war jedes Mal dieselbe: ‹Gerne geben wir dir von der Senfsaat. Doch in unserer Familie sind mehr Menschen gestorben, als jetzt noch leben.› Wo sie auch hinkam, war niemand von Verlust verschont geblieben. Da begann sie zu verstehen, dass sie mit ihrer Erfahrung nicht alleine war. Ihre Trauer wandelte sich in Mitgefühl für all die Menschen, und nun war sie bereit, sich von ihrem Kind zu verabschieden und es zu beerdigen.»