Das Jetzt und das Hier
Ganz allein mache ich eine Wanderung auf einer Schäreninsel vor Stockholm. Ein herrlicher Sommertag, frische Luft, helles Licht, blauer Himmel. Wege durch den Wald. Weit und breit kein Mensch. Urplötzlich, direkt neben mir zwischen den Bäumen, ein lautes Gurgeln, Plantschen und Stampfen. Ein riesiger Elch erhebt sich aus einem Schlammloch und stellt sich vor mir auf den Weg. Es trennen uns nur drei, vier Meter. Totale Stille. Nur er und ich. Wir bewegen uns nicht. Ich blicke in seine kleinen braunen Augen, betrachte die breite, vorne hellgraue Nase, sein Geweih, die hochgestellten Ohren. Ich atme kaum. Es ist ein Moment ungeheurer Dichte. Als ob es ausserhalb dieser Begegnung nichts gäbe: Kein Vorher und Nachher, kein Da und Dort.
Heute, im Rückblick, bin ich wahnsinnig dankbar für diesen intensiven Moment in meinem Leben. Und für manch andere Erlebnisse, in denen ich aus meiner Gedankenwelt in die totale Gegenwart katapultiert wurde. Es sind Erfahrungen vollen, satten, mächtigen Lebens.
Solche Momente erinnern mich daran, dass das Leben eigentlich immer genau jetzt und hier stattfindet. Gedanken an früher: Sie geschehen jetzt in meinem Hirn! Pläne für nächstes Jahr: Ich mache sie jetzt.
Und ein gutes Stück liegt es an mir, wie ich das Hier und das Jetzt erfahre. Wenn ich mich bewusst darauf einlasse, kann ich es intensiver erleben. Und ich kann merken, dass ich auch Wahlmöglichkeiten habe. Will ich dieses Weg-Wort lesen oder lieber einfach meinen Kaffee geniessen? Will ich weiter an dieser Stelle arbeiten? Oder ist es Zeit, einen neuen Job zu suchen? Will ich endlich dieser inneren Stimme Raum geben und anfangen zu malen? Was morgen ist, weiss ich nicht. Was gestern war, kann ich nicht mehr ändern. Leben tue ich jetzt.
Abb: Elch, Thomas Haeusler, 2017, flickr. https://www.flickr.com/photos/thomashaeusler/36318736136