Demokratie des Geistes
Die Abbildung zum heutigen Weg-Wort zeigt eine der ältesten Darstellungen der biblischen Pfingsterzählung. Und so wurde die Ausgiessung des Heiligen Geistes in der Geschichte der christlichen Kunst dann oft wiedergegeben:
Der Geist schwebt in Form einer Taube über den 12 Jüngern Jesu und der Mutter Maria. Von ihm ausgehend verteilen sich kleine Flammen auf die genannten Menschen. Sie sind das sichtbare Zeichen für ihr Ergriffensein durch den Geist.
Die Darstellung ist korrekt – und doch auch nicht. Denn der biblische Text in der Apostelgeschichte legt grossen Wert darauf, dass am Pfingsttag «alle beisammen» waren, und dass sie «alle» vom Geist erfüllt wurden (Kapitel 2, Verse 1-4). Im Abschnitt davor wird erzählt, dass die Apostel mit Frauen, Maria und Jesu Geschwistern zusammen waren, und dass unmittelbar vor der Ausgiessung des Geistes etwa 120 Personen versammelt waren. Es liegt also nahe, dass mit «alle» deutlich mehr Menschen gemeint sind als nur die Apostel und die Gottesmutter.
Der Pfingstgeist war also keinem exklusiven Kreis vorbehalten. Und in Folge des Ereignisses wächst die kleine Schar der Christusgläubigen dann auch schnell zu einer grösseren Gemeinde heran. Der Geist wirkt in allen, in der Gemeinschaft der Glaubenden. Gott meint’s demokratisch mit diesem Geist.
Der Prophet Joel im Ersten Testament erzählt sogar von einer Zukunft, in der Gott den Geist «über alles Fleisch» giessen wird – eine geläufige biblische Bezeichnung für die gesamte Menschheit.
Auch die Kirche hat den Geist nicht für sich gepachtet.
Abb: Ausgiessung des Heiligen Geistes, Rabbula-Evangeliar, fol. 14r, 586 n. Chr. Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz.
Quelle: Wikimedia Commons