Der glückliche Schuster
Es war ein armer Schuster, der war so glücklich, dass er von morgens bis abends sang. Viele Kinder standen vor seinem Fenster und hörten ihm zu.
Neben dem Schuster lebte ein sehr reicher Mann. Der zählte die ganze Nacht seine Goldstücke. Tagsüber konnte er nicht schlafen, weil er den Schuster singen hörte. Eines Tages lud er den Schuster ein und schenkte ihm einen Beutel voll Goldstücke.
Nie in seinem Leben hatte der Schuster soviel Geld gesehen. Es war so viel, dass er Angst hatte, es aus den Augen zu lassen. Darum nahm er es mit ins Bett. Auch dort musste er immer an das Geld denken und konnte nicht einschlafen. So trug er den Beutel auf den Dachboden. Früh am Morgen holte er ihn wieder herunter, denn er hatte beschlossen, ihn im Kamin zu verstecken. «Ich bringe das Geld ins Hühnerhaus», dachte er etwas später. Aber damit war er auch noch nicht zufrieden. Nach einer Weile grub er ein tiefes Loch im Garten und legte den Beutel hinein. Zum Arbeiten kam er gar nicht mehr. Und singen konnte er auch nicht mehr. Und, was am schlimmsten war, die Kinder kamen ihn nicht mehr besuchen. Zuletzt war er so unglücklich, dass er den Beutel wieder ausgrub und damit zu seinem Nachbarn lief. «Bitte, nimm dein Geld zurück», sagte er. «Die Sorge darum macht mich ganz krank.» So wurde der Schuster bald wieder genauso vergnügt wie zuvor und sang und arbeitete den ganzen Tag.
Nach Jean de La Fontaine