Der Ich-bin-da
2004 zerstörte ein Tsunami im Indischen Ozean hunderte von Ortschaften und Landstrichen. Etwa 230’000 Menschen verloren ihr Leben.
Einige Wochen nach der Katastrophe hatte ich eine Begegnung mit einem Überlebenden. Er schilderte mir, wie ohnmächtig er der Gewalt der Wasserflut ausgeliefert gewesen war und wie knapp er dem Tod entronnen sei. Dankbar erzählte er auch von der grossen Hilfsbereitschaft der lokalen Bevölkerung. Und er beschrieb mir eine Erfahrung, die er nicht vergessen konnte: Helfer hatten ihn in eine Kleinstadt gefahren, wo man auf den Transport ins nächste grössere Spital wartete. Zusammen mit vielen anderen lag er auf einem grossen Platz. Es war unbeschreiblich heiss, er litt unter Schmerzen und vor allem hatte er keine Ahnung, ob seine Angehörigen noch am Leben waren. Plötzlich erschienen buddhistische Mönche auf dem Platz und einer kauerte sich zu ihm hin. Dieser Mann sprach weder deutsch noch englisch. Er konnte auch nichts für ihn tun. Aber er blieb. Er war einfach bei ihm. Diese aufmerksame, zugewandte Präsenz hat den Mann unglaublich berührt.
Unabhängig von Religion, Herkunft und Sprache hat das Dasein für einen anderen Menschen eine immense Kraft.
Im biblischen Buch Exodus wird von einer Offenbarung Gottes an Moses berichtet. Auf die Frage, welchen Namen Gott trage, antwortet dieser: «Ich bin, der ich bin». Eine andere Deutungsmöglichkeit der hebräischen Worte ist: «Ich bin der Ich-bin-da.»
Abbildung: Sigmar Polke, Der Menschensohn, Glasfenster, Grossmünster Zürich, 2009. Foto: Roland zh, 2011, Wikimedia Commons