Der relative Wahrheitsgehalt von Hormonspiegeln
Winfried Kretschmann ist Mitbegründer der Grünen Partei in Deutschland. 2011 wurde er überraschend erster grüner Ministerpräsident eines Bundeslandes (Baden-Württemberg). Seither ist er zweimal wiedergewählt worden und gilt als einer der beliebtesten Politiker in Deutschland.
In einem Podcast, in dem er über sein Leben und seine politische Laufbahn befragt wird, kommt man auch auf seinen Glauben zu sprechen. Kretschmann ist katholisch aufgewachsen und war in jungen Jahren für kürzere Zeit Maoist. Heute ist er praktizierender Katholik. Die Gedanken, die er im Podcast zum Glauben äussert, sind hoch differenziert und anregend.
Zur Frage nach Gott etwa meint er, dass es zwei Wahrheiten zu unterscheiden gelte: Die Wahrheit der Wissenschaft, die der Logik von Ursache und Wirkung folge. «Und dann gibt es Wahrheiten, hinter die kommen Sie nur, wenn Sie eine Geschichte erzählen.» Gott sei in die Geschichten, die von ihm / ihr erzählt werden, verwoben. Gottes Wahrheit erschliesse sich aus diesen Geschichten. Um dies zu verdeutlichen, bringt Kretschmann das Beispiel der Liebe. Warum und wie man einen bestimmten Menschen liebe, erzähle man in der Geschichte, die man mit diesem Menschen teile, nicht mittels wissenschaftlicher Daten. «Wenn Sie das wissenschaftlich machen wollen, wie ihr Hormonspiegel war usw., dann brauchen Sie es gar nicht mehr zu erklären. Und das ist mit dem Glauben und vielen anderen Dingen auch so.»
Das Eigentliche – was die Liebe oder Gott jemandem bedeuten und wie sie sich im Lebensvollzug bewahrheiten – kann in wissenschaftlichen Daten nicht abgebildet werden. Wer also meint, wahr sei nur, was sich wissenschaftlich beweisen lässt, droht, die Fülle dessen, was Menschen erfahren und was uns bewegt, zu verfehlen.
Abb: Winfried Kretschmann bei einer Podiumsdiskussion in Lörrach, 2016. Foto: Boris Pasek. Wikimedia Commons
Podcast: Alles gesagt? Winfried Kretschmann. 27. September 2024. Interviewpodcast der Zeit Online