Die Angst unter dem Polizeihelm

Joschka Fischer war 1998 bis 2005 als erster grüner Politiker Aussenminister der Bundesrepublik Deutschland.  Als junger Mann sah sein Leben allerdings noch ganz anders aus. Fischer war Aktivist während der 68er-Unruhen. Er kämpfte gegen die erstarrten Strukturen des jungen Nachkriegsstaates, in dem die wichtigen Ämter noch von der Generation jener besetzt wurden, die den Nationalsozialismus erlebt und manchmal auch unterstützt hatten. Nicht selten wurden diese Auseinandersetzungen gewaltsam auf der Strasse ausgetragen.

In einer Filmdoku erinnert sich der mittlerweile über Sechzigjährige an diese Zeit und macht eine bemerkenswerte Aussage über einen Wendepunkt in seinem Denken. Er spricht über eine Demonstration, in der es zum Kampf mit der Polizei kam:

«Das war der Punkt, wo ich sah, dass ein Einzelner hinter mir herkam. Und da habe ich mir gesagt: Jetzt renne ich nicht mehr weg, jetzt renne ich dem entgegen, […] und das war für mich ein Wendepunkt, wenn man so will, also, wo nicht mehr nur ich selbst sozusagen Angst hatte vor der Staatsgewalt, die vor mir stand, sondern ich sah zum ersten Mal die Angst auch unter dem Polizeihelm.»

Dieses Erlebnis und die gleichzeitige Radikalisierung in der Protestbewegung, die zum Terrorismus der Roten Armee Fraktion führte, liessen in Fischer die Überzeugung wachsen, dass Gewalt nicht der Weg ist, der wirkliche gesellschaftliche Veränderung bringt.

Ich finde schon besonders, welcher Moment für Fischers Wende mitverantwortlich war: der, in dem er dem Polizisten in die Augen blickte und dessen Angst wahrnahm. Gewalt ist nicht anonym. Sie mag sich gegen Institutionen richten wollen, aber sie trifft immer Menschen. Menschen, die genauso Angst haben und genauso am Leben hängen, wie ich. Politisches Handeln, das darüber hinweggeht, ist nicht menschlich, sondern zynisch.

«Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen», soll Jesus gesagt haben.

Abb.: Studentenrevolte 1968. Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ludwig Binder. Quelle : https://www.flickr.com/photos/132468467@N06/17076461192/ .