Die soziale Pflanze
Als Zimmerpflanze ist die Monstera – zu Deutsch «Fensterblatt» – in unseren Breitengraden sehr beliebt. Sie ist pflegeleicht und benötigt nur wenig Licht. In den Wäldern von Mittel- und Südamerika, wo sie beheimatet ist, lebt die Monstera als Kletterpflanze, kann dort mehrere Meter an einem Baum hinaufwachsen und essbare Früchte hervorbringen, die sehr köstlich sein sollen.
Auffällig an dieser Pflanze sind ihre grossen Blätter, die zwischen den Blattrippen tief eingeschnitten und mit Löchern versehen sind. Offensichtlich wurde der deutsche Name von dieser Besonderheit abgeleitet. Warum weisen die Blätter diese Form auf? Die Erklärung finde ich gleichermassen einleuchtend wie erstaunlich: Löcher und Schlitze der Blätter haben den Zweck, dass andere Blätter und Pflanzen darunter genug Licht erhalten, um selbst wachsen und gedeihen zu können.
Was für eine soziale Pflanze, dass sie auf einen Teil des im Urwald raren Sonnenlichts verzichtet und es anderen zur Verfügung stellt. Die Natur ist also mehr als bloss Kampf ums Überleben und Sieg des Stärkeren. Wenn doch die Menschen, besonders die wohlhabenden unter ihnen, sich an diesen Blättern ein Vorbild nehmen würden!
Solche Gedanken kommen mir beim Betrachten des Fensterblatts, und sogleich meldet sich eine Gegenstimme: Ist es vielleicht purer Egoismus der Pflanze, und es geht ihr hauptsächlich um die tieferliegenden eigenen Blätter? Wie immer das sein mag, von der Genügsamkeit des Blattes profitieren alle, die sich unter ihm befinden. Auch der menschlichen Gemeinschaft tut das Bewusstsein gut, dass alle zusammengehören, und ein jeder, eine jede von uns genug empfängt, um etwas davon nach unten weiterzugeben.