Drei Jahre, ein Tag
Vor wenigen Tagen habe ich einen Spielfilm über die Walz gesehen. Bei diesem alten Handwerksritual, das schon im Mittelalter nachgewiesen ist, gehen junge Gesellinnen und Gesellen nach ihrer Ausbildung auf Wanderschaft. Drei Jahre und einen Tag sind sie unterwegs und ziehen von Ort zu Ort. Dabei gelten erstaunlich klare Regeln: man darf dem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer kommen. Fortbewegen darf man sich nur zu Fuss, per Anhalter oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, d.h. kein eigenes Auto, kein Fahrrad und auch keine Flugreisen. Das Tempo wird bewusst verlangsamt, die Richtung nicht vom Navi bestimmt, sondern vom Weg, der sich gerade auftut. Alles, was man braucht, wird in ein kleines Tuchbündel gepackt. Die Wandergesellen tragen während der Walz nur das Nötigste bei sich.
Nun waren viele von uns wahrscheinlich nicht auf der Walz. Trotzdem ist dieser Brauch so etwas wie ein Bild für das Leben selbst, gleicht es doch oft einer Reise mit überraschenden Stationen. Auch ein Bündel tragen die meisten Menschen mit sich. Ein Bündel aus Erfahrungen, Sorgen, Erwartungen oder Ängsten. Und das eigentliche Leben passiert unterwegs: bei Begegnungen, Herausforderungen, beim Suchen des eigenen Weges, manchmal auch beim Umkehren. Für Paulus ist das menschliche Leben auch mit Unterwegssein und der Suche verbunden. «Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern wir suchen die zukünftige.» (Hebräer 13,14)
Dieser Vers erinnert uns daran, dass unsere eigentliche Heimat nicht hier auf Erden und das ganze Leben eine Reise ist. Es ist kein fester Ort, sondern ein Weg, der geprägt ist von Veränderung und der Gewissheit, nicht alles kontrollieren zu können. Die 50-Kilometer-Regel der Walz wird so zum Symbol. Manchmal müssen wir Abstand nehmen, um neu sehen zu lernen und loslassen, um wirklich frei zu sein.
