Eile mit Weile

In der Reihe «Im HB erlebt» berichten Mitarbeitende aus Betrieben am Haupt­bahnhof Zürich. Der folgende Text stammt von Celina Pirali Staub vom Bekleidungsgeschäft BIG.

Als Verkäuferin im Bahnhof bin ich mit eilenden Menschen in Kontakt. Schon vor Ladenöffnung drücken die Leute an der Glastüre ihre Nasen platt und können offenbar nicht verstehen, warum das Geschäft nicht schon um fünf Uhr öffnet. Dann endlich strömen sie herein und jemand sucht schnell ein T-Shirt, weil sie den Kaffee im Gehetze über ihre Bluse geschüttet hat. Eine andere Kundin braucht dringend eine Strickjacke. Das Seidentop ist für das klimatisierte Büro zu wenig. Und weil es von allen Seiten regnet, möchte eine Dame ihr klitschnasses Outfit ersetzen und ein Schirm kaufen, den ich ihr leider nicht bieten kann.

Irgendwann beruhigt sich die Szene und ich kann die eilig verlassenen Umkleide-Kabinen aufräumen. Jetzt kommen Leute ins Geschäft, die auf ihren Zug-Anschluss warten, und auch Auswärtige, die fragen, wo sie was finden. Ich bin gerne mal das «Auskunfts-Fräulein», mit Chinesisch oder Russisch bin aber auch ich überfordert. Gegen Mittag kommt meine Kollegin, wir sind zu zweit. Allerdings haben wir nur eine Kasse, und es geht nicht schneller, wenn Ungeduldige entnervt von einem Fuss auf den andern treten, in der einen Hand das Kleidungsstück, in der andern den angefangenen Hörnli-Salat oder – noch schlimmer – einen Kebab.

Im Bahnhof gehen die Stunden gefühlsmässig schnell vorbei. Wenn ich um 21 Uhr den Schlüssel drehe und mich umschaue, sehe ich die Leute immer noch in Eile! Und wenn ich auf der Heimfahrt den Tag Revue passieren lasse, kommen auch positive Erinnerungen: freundliche, nette, geduldige Kunden, lustige Hunde, die ich streicheln darf, weinende Kinder die ich zum Lachen bringe, oftmals auch einsame Menschen, die ein kurzes Gespräch schätzen. Ich liebe diese spannende Abwechslung, auch wenn ich oftmals zu mehr Weile statt Eile raten möchte.