Eine Sache von Liebenden

Ist beten noch zeitgemäss? Manchen erscheint es wie der magische Versuch, eine höhere Macht durch Worte zur Erfüllung eigener Interessen und Wünsche zu bewegen. Andere halten das Gebet angesichts des heillosen Zustands der Welt mit ihren Katastrophen und menschlichen Grausamkeiten für wirkungslos oder sehen darin eine Flucht in die Untätigkeit, die einen aktiven Beitrag zur Veränderung eher verhindert statt fördert.

Wie bedeutsam beten auch heute ist, dazu kann uns Gertrud von Helfta etwas sagen. Und das mag erstaunen: Schliesslich lebte sie seit ihrem fünften Lebensjahr als Nonne in klösterlicher Abgeschiedenheit und starb vor 720 Jahren am 17. November. Das Zisterzienserinnenkloster von Helfta war zu Gertruds Zeit ein herausragender Ort, an dem Frauen eine Chance auf Bildung und intellektuelle Entfaltung bekamen. Diese Chance hatte die Heilige ausgiebig genutzt. Zum Beten schreibt sie:

«Das Gebet, das ein Mensch nach bestem Können verrichtet, hat grosse Kraft. Es macht ein bitteres Herz süss, ein armes reich, ein törichtes weise, ein verzagtes kühn, ein schwaches stark, ein blindes sehend, ein kaltes brennend. Es zieht den grossen Gott in das kleine Herz; es trägt die hungernde Seele empor zu Gott, dem lebendigen Quell, und bringt zwei Liebende zusammen: Gott und die Seele.»

Die heilige Gertrud pflegte eine Mystik des Herzens.
Die heilige Gertrud pflegte eine Mystik des Herzens. Bildquelle: abteioberschoenenfeld.de

Beten hat für Gertrud nichts von Magie oder Weltflucht. Sie entdeckt darin vielmehr eine vertrauensvolle Bewegung auf das grosse Geheimnis zu. So wird es zu einer Sache zweier Liebender, vermag emotionale Zustände zu verwandeln und den Anschluss an die Quelle der Lebendigkeit wiederherzustellen. Danach sehnen sich Welt und Menschen heutzutage mehr denn je.