Eisenengel

Newcastle ist eine mittelgrosse Stadt im Norden Englands. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war sie eines der grossen Industriezentren des Landes. Es gab Kohlenbergwerke. Schiffe und Lokomotiven wurden hergestellt.  Entsprechend hart wurde die Stadt vom Strukturwandel von der Schwerindustrie zum Dienstleistungssektor getroffen.

In den 90er-Jahren erhielt der Bildhauer Antony Gormley den Auftrag, in einer Region südlich von Newcastle eine Monumentalskulptur zu schaffen. 1998 wurde sein „Angel of the North“ der Öffentlichkeit übergeben. Ein 20 Meter hoher Engel aus rostbraunem Stahl mit weit ausgestreckten Flügeln. Von weitem sichtbar in einem kleinen Park inmitten von Autobahnen und Schnellstrassen. Er steht auf einem Hügel, unter dem die Überreste einer stillgelegten Kohlenzeche begraben sind.

Ausgerechnet ein Engel? Gerade ein Engel für die gebeutelten Menschen dieser Region!

Ein Engel, der nach dem Eisen riecht, das man hier gegossen hat.
Ein Engel, der über der Vergangenheit wacht, die die Region geformt hat.
Ein Engel, der in die Zukunft blickt, die viele noch nicht sehen.
Ein Engel, den die Menschen weit über den Rand der Kirchen hinaus verstehen. Der ihr Leben teilt, in den Vororten, zwischen den Schnellstrassen.

Ursprünglich wurde die Idee der Engelskulptur bekämpft. Und die Materialwahl wurde missbilligt. Heute ist der „Angel of the North“ ein Wahrzeichen, und täglich besuchen ihn Menschen: Familien picknicken im Park, Kinder setzen sich auf seine riesigen Füsse, Touristen bestaunen ihn.

Und etwas ganz Besonderes ist im Schatten seiner Flügel entstanden.
Davon handelt ein Weg-Wort in der nächsten Woche.

Abb: Antony Gormley, Angel of the North, 1998, Gateshead, Grossbritannien. Foto: Privat