Entschwunden
Verlust ist eine Grunderfahrung des Lebens. Es gibt nichts auf dieser Erde, das nicht irgendwann ein Ende nähme. Jemand oder etwas kann einem auf abrupte Weise entrissen werden, so durch Tod, Unfälle oder Katastrophen. Es gibt aber auch das langsame, kaum merkliche Entschwinden. Menschen erleben es beim Alterungsprozess oder in Beziehungen, wenn die Liebe und Nähe über die Jahre irgendwie nachlässt oder ganz abhandenkommt.
Wie sehr die Jesusbewegung mit Verlust konfrontiert war, berichtet das zweite Testament der Bibel. Traumatisierend erlebten die Jüngerinnen und Jünger die Verurteilung ihres bewunderten Meisters und seinen grausamen Tod. Die Geschichte nimmt eine wunderbare Wendung durch die Auferstehung. Doch auch die neue Anwesenheit konnte nicht von Dauer sein. Die Apostelgeschichte erzählt, dass Christus in den Himmel entrückt und den Zurückbleibenden entzogen wurde. Die ersten Christen hofften noch, dass er zu ihren Lebzeiten wiederkehren werde. Doch das erfüllte sich nicht.
Christi Himmelfahrt sehe ich auch als Bild für das Entschwinden, welches die frühe christliche Gemeinschaft prägte. Nach dem Weggang Jesu starben die Augenzeugen nach und nach, Verunsicherung, Meinungsverschiedenheiten und weltliche Einflüsse nahmen zu. Seither stellen sich die Fragen: «Was ist wesentlich?» – «Was soll bleiben» – «Was darf sich ändern?» Wir leben in anderen Zeiten und Umständen als die Menschen damals. Christi Anliegen lebendig zu erhalten, bedarf der Bereitschaft zur Veränderung, vielleicht auch des Loslassens von vertrauten Traditionen. Ermutigung für das Wagnis der Erneuerung, und dass nun wir an der Reihe sind, die göttliche Liebe in der Welt erfahrbar zu machen, das sind Botschaften von Christi Himmelfahrt.