Erkenne dich selbst!

Gnothi seauton – Erkenne dich selbst! Das ist die vielzitierte Inschrift auf einer Säule des Apollotempels im griechischen Delphi. Ich kenne niemanden, der diese vor mehr als 2400 Jahren eingravierte Aufforderung zur Selbsterkenntnis als unsinnig erachten würde. Schwieriger wird es jedoch, wenn wir fragen, wie und auf welchem Weg man denn zu einer möglichst evidenten Selbsterkenntnis gelangt. Der angepriesenen Methoden sind viele: Introspektion, Meditation, Psychoanalyse, Hypnose usw.
Es gibt aber noch einen anderen, vermutlich untrüglicheren und direkteren Pfad der Selbstergründung. Natürlich können wir zum Psychoanalytiker gehen, um etwas über uns herauszufinden, doch das hat am Ende nur wenig mit Selbsterkenntnis zu tun. Diese kommt weit eher zustande, wenn wir uns unserer selbst in Beziehungen bewusst werden. Sie sind ein untrüglicher Spiegel, in dem wir beobachten und erfahren können, wie wir sind und was wir sind. In aller Regel sind wir aber unfähig, uns selbst in unseren Beziehungen zu spiegeln. Denn sofort fangen wir an zu vergleichen, zu beurteilen, zu bewerten. Wir lehnen ab oder stimmen zu, nie aber beobachten wir, was wirklich ist. Dies aber wäre der Anfang aller Selbsterkenntnis.
Wenn wir in der Lage sind, uns im Spiegel unserer Beziehungen fern aller Projektionen so zu sehen, wie wir wirklich sind, in einem Spiegel, der nichts verstellt und nichts verzerrt, dann werden wir entdecken, dass unser Geist fähig ist, sich von selbstentfremdenden Konditionierungen und Selbsttäuschungen zu befreien. Nur sind wir dann möglicherweise mit jenem Gesicht von uns selbst konfrontiert, in das wir lieber nicht schauen.