Es gut miteinander meinen
Zwei Brüder wohnten einst auf dem Berg Morija. Der Jüngere war verheiratet und hatte Kinder, der Ältere war unverheiratet und allein. Die beiden Brüder arbeiteten zusammen, sie pflügten das Feld zusammen und streuten zusammen den Samen aus. Zur Zeit der Ernte brachten sie das Getreide ein und teilten die Gaben in zwei gleich grosse Stösse, für jeden einen Stoss Garben. Als es Nacht geworden war, legte sich jeder der beiden Brüder bei seinen Garben nieder, um zu schlafen. Der Ältere aber konnte keine Ruhe finden und sprach in seinem Herzen: «Mein Bruder hat eine Familie, ich dagegen bin alleine und ohne Kinder, und doch habe ich gleich viele Garben genommen wie er. Das ist nicht recht.» Er stand auf, nahm von seinen Garben und schichtete sie heimlich und leise zu den Garben seines Bruders. Dann legte er sich wieder hin und schlief ein. In der gleichen Nacht nun, geraume Zeit später, erwachte der Jüngere. Auch er musste an seinen Bruder denken und sprach in seinem Herzen: «Mein Bruder ist allein und hat keine Kinder. Wer wird in seinen alten Tagen für ihn sorgen?» Und er stand auf, nahm von seinen Garben und trug sie heimlich und leise hinüber zum Stoss des Älteren. Als es Tag wurde, erhoben sich die beiden Brüder, und wie war jeder erstaunt, dass ihre Garbenstösse gleich waren wie am Abend zuvor. Aber keiner sagte dem anderen ein Wort. In der zweiten Nacht wartete jeder ein Weilchen, bis er den anderen schlafend wähnte. Dann erhoben sie sich und jeder nahm von seinen Garben, um sie zum Stoss des anderen zu tragen. Auf halbem Weg trafen sie plötzlich aufeinander und jeder erkannte wie gut es der andere mit ihm meinte. Da liessen sie ihre Garben fallen und umarmten einander in herzlicher, brüderlicher Liebe.
Gefunden in: Willi Hoffsümmer, 255 Kurzgeschichten für Gottesdienst, Schule und Gruppe