Felix imperfectio

Im Lied «Anthem» des kanadischen Liedermachers Leonard Cohen, der vor acht Jahren verstarb, ist ein vielzitierter Satz zu finden. Cohen singt dort: «There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in.» In jedem Ding gibt es einen Sprung; das ist, wie das Licht eindringt. Vom persischen Mystiker Rumi gibt es ein ganz ähnliches Zitat, das häufig so wiedergegeben wird: «Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht in dich eindringt.» In der jüdischen Mystik soll es ebensolche Aussagen geben.

Kintsugi-Schale
Kintsugi-Schale; Bildquelle: www.wikipedia.org

Sprünge und Risse mindern normalerweise den Wert einer Sache, machen sie manchmal völlig unbrauchbar. Allerdings können sie auch Ausgangspunkt sein, dem Gegenstand eine ganz neue Würde zu verleihen, wie es die japanische Kunst des Kintsugi praktiziert. Zerbrochene Keramik wird dort repariert, indem die Sprünge mit Gold sogar noch hervorgehoben werden.

Das Streben nach dem Fehlerfreien und Perfekten steckt irgendwie tief in uns. Es ist möglicherweise eine Prägung, die von den Religionen aufgedrückt wurde. Man glaubte, dass Gott bzw. die Götter makellose Opfer forderten, und Menschen strebten nach eigener Vervollkommnung, um dem Göttlichen gefällig zu sein. Diese Prägung hinterlässt bis heute ein tief verunsicherndes Gefühl des Ungenügens, ganz gleichgültig, ob man gläubig ist oder nicht.

Wenn aber Gott andere Vorstellungen von Perfektion hat als wir? Wenn für ihn Brüche, Wunden und vermeintliche Makel dazugehören, aus denen Neues erwächst und die uns einzigartig machen? Dann wären sie wirklich Passagen für die Gnade, für das göttliche Licht, und würden uns dazu einladen, etwas Besonderes daraus zu machen, so wie die Kintsugi-Künstler.