Feministische Polygamie

Das Weg-Wort vom 20. Juni handelte von einem afrikanischen Theologen, der die Botschaft Jesu Christi als eine Kraft beschrieb, die uns immer ein Gegenüber ist, das unsere Lebensweisen und Glaubenstraditionen infrage stellt.

Heute ein Beispiel, das an diesen Gedankengang anschliesst.

Eine kenianische Theologin, die an derselben Universität lehrte, vertrat die Ansicht, die in vielen afrikanischen Traditionen übliche Polygamie (das Führen mehrerer Ehen nebeneinander) widerspreche nicht der biblischen Lehre und sei mit dem christlichen Glauben vereinbar, obwohl die Missionare dies verboten hätten. Schliesslich komme die Polygamie ja auch in der Bibel vor.

Die Theologin war feministisch geprägt und argumentierte, westliche Menschen würden die Polygamie falsch verstehen. Natürlich sei es ein patriarchales Muster, dass ein Mann mehrere Ehen nebeneinander führen könne. Innerhalb der so entstehenden Lebensgemeinschaften von Frauen bildeten sich jedoch Systeme gegenseitiger Unterstützung und sozialer Sicherheit. Die meiste Zeit verbrächten die Frauen nicht mit dem Mann, sondern in einer weiblichen Wohngemeinschaft und für sich alleine. Dies schaffe deutlich mehr Unabhängigkeit als so manche monogame Ehe – auch im modernen Westen. Polygamie stehe auch für weibliche Freiräume!

Schelmisch stellte sie dann die Frage, was eigentlich genau der Unterschied sei zwischen dieser afrikanischen Form der Vielehe, in der man gleichzeitig mehrere Partnerinnen habe, und der europäischen, in der man sie nacheinander habe… Das von Jesus gelehrte Ideal gelinge selten. Daneben lasse die Bibel verschiedene Lebensformen zu, die eben kulturell geprägt seien.

Ich fand diesen fremden biblischen Blick auf meine Normalität herausfordernd, aber sehr erfrischend.

Abb: Toro Teachers College. Polygamie. Ein Fahrer heiratet seine dritte Frau. African Studies Centre Leiden, Niederlande. Foto: Aart Rietveld, zwischen 1970 und 73