Geflecht in der Leere
Vor einer Woche hat der Künstler Roland Heini im Raum der Stille der Bahnhofkirche seine Kunstinstallation «Archimedische Schraube» abgebaut. Wo sich während dreier Monate die mannshohe gewundene Holzskulptur gemächlich um ihre Achse drehte, dann stillstand und die Richtung wechselte, befindet sich jetzt nichts weiter als die leere Wand. Gegenüber dem Künstler bedauerte ich den Abbau. Das Werk war mir und so manchen Freiwilligen und Besuchenden irgendwie ans Herz gewachsen. Es gab sogar Leute, die sich die Schraube als permanenten Bestandteil des Raums der Stille wünschten.
Roland Heini betrachtete den Abbau durchwegs positiv. Es sei der natürliche Lauf der Dinge, dass sie irgendwann auch wieder verschwinden und Platz machen für die Leere, und wenn die Zeit reif ist auch wieder für etwas Neues. Tatsächlich entdecke ich in der leeren Wand und dem «verschlankten» Kapellenraum auch eine wohltuende Qualität, die mich zentriert. Zugleich bemerke ich, dass das Kunstwerk für mich nicht einfach weg ist. Es hat für eine Weile den Raum der Stille geprägt und dreht sich in meiner Erinnerung immer noch an diesem Ort.
Diese Erkenntnis lässt Freude in mir aufkommen und schenkt mir eine Ahnung für die göttliche Sichtweise auf unsere Welt. Jenseits aller Zeit ruhend, wird Gott demnach statt einer Abfolge einzelner Ereignisse ein dichtes Geflecht von Bewegungen und Verbindungen wahrnehmen, in welchem jedes Einzelwesen an bestimmter Stelle eine Rolle von bleibendem Wert spielt. Der Gedanke rückt jeden Verlust, den ich je erfahren habe, in ein tröstliches Licht. Zugleich konfrontiert mich dieser Blickwinkel mit der Frage, welche Rolle ich selbst in dem grossen Geflecht Gottes zu spielen gedenke, und gibt jeder meiner Entscheidungen und Handlungen Gewicht und Bedeutung.