Genug Wunder
Kürzlich habe ich ein paar Tage in Freiburg im Breisgau verbracht. Auf einer Wanderung sind wir am Ende eines Tals zu einer Kapelle gekommen, die über einer Wasserquelle errichtet worden ist. Ihr Wasser soll heilsame Wirkung entfalten.
Seit Menschengedenken werden Quellen kultisch verehrt. Oft ist die Vorstellung damit verbunden, dass Geister oder Gött:innen in ihnen leben oder dass sie überhaupt erst durch das Einwirken von wundertätigen Menschen entsprungen sind.
Und tatsächlich: Dass frisches Wasser aus dem Innern der Erde hervorsprudelt, ist ja ein Wunder! Dieses Wasser spendet Leben für Pflanzen, Tiere und Menschen.
Heute feiert die katholische Christenheit Allerheiligen. Sie gedenkt der Menschen, die heiliggesprochen wurden und besondere Verehrung erfahren.
Sehr oft ist es so, wie ich es in Freiburg erlebt habe: Bei einer Quelle steht eine Kapelle, und diese ist einer oder einem Heiligen gewidmet. Und die Legenden, die über diese Menschen erzählt werden, handeln von Wundern, die in ihrem Namen bei der Quelle geschehen sind.
In Freiburg war es die Heilige Odilia. Sie soll blind geboren worden sein. Erst durch ihre Taufe mit 12 Jahren habe sie das Augenlicht geschenkt bekommen. Weil ihr Vater sie verstiess, lebte sie eine Weile in einer Höhle. Die Stelle, wo heute die Kapelle steht, wird als Ort dieser Höhle angenommen. Und deshalb gilt das Wasser der Quelle als heilwirksam bei Augenleiden.
Dass die Taufe oder Quellwasser Blindheit heilen können, bezweifle ich. Aber dass wir alle es immer wieder nötig haben, uns von Verblendung zu reinigen, davon bin ich überzeugt.
Ich wünsche mir einen Glauben, der hilft, sorgfältig hinzusehen, nicht vorschnell zu urteilen und Dinge auch aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn er dies bewirkt, ist mir das genug Wunder.
Abb: St. Ottilien, Freiburg im Breisgau, Kapelle. Foto: Joergens.mi, 2009. Wikimedia Commons