Getanztes Gebet
Wer schon nach Istanbul gereist ist, hat sie womöglich einmal gesehen. Die tanzenden Derwische sind längt zu einer Touristenattraktion in der Bosporus-Metropole geworden. Eigentlich verbirgt sich hinter dem gleitenden und langanhaltenden Kreisen um die eigene Achse eine tiefe spirituelle Praxis.
Die Sufis bilden eine mystische Strömung im Islam und widmen sich ganz der Hinwendung zu Gott. Dies tun sie im gesprochenen Gebet und ebenso mit Hilfe von Atemübungen, Musik und Tanz. Im Mevlevi-Orden, der sich auf Dschalal ad-Din Rumi – den mystischen Dichter des 13. Jahrhunderts – beruft, entstand der kreisende Derwischtanz, der bis heute praktiziert wird.
Zu Beginn des Tanzrituals tragen die Sufis einen schwarzen Mantel und einen hohen Hut, die Grab und Grabstein für das alte Ich versinnbildlichen. Der Mantel wird abgelegt und nach einem Segen beginnt das Drehen um die eigene Körperachse. Die Sufis verbinden es mit den Kreisbewegungen des gesamten Universums, betrachten die Bewegung und das gleichzeitige Ruhen der eigenen Achse und erkennen darin die Verbindung mit Gott und seinem Wirken. Die rechte Hand weist beim Tanz nach oben, um Segen von Gott zu empfangen, und die linke nach unten, um diesen Segen weiterzugeben. Die Tanzenden üben damit eine Haltung ein, um auch im Alltag segensreich zu leben und liebevoll zu wirken.
In unseren christlichen Feiern vermisse ich zuweilen solche Formen, die den Körper bewusst einbeziehen. Dass Bewegung auch in einer Kapelle Raum findet, zeigt das Kunstwerk «Archimedische Schraube» in der Bahnhofkirche Zürich. Sie und ihr langsames Drehen laden zum meditativen Betrachten ein, wie Aktion und in sich selbst Ruhen zugleich zusammengehen können.