Gute Seele

Auf meiner Wanderung in Süditalien habe ich mich einmal wegen des schlechten Wetters entschieden, eine Tagesetappe statt zu Fuss mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Beim Umsteigen vom Bus zum Zug musste ich über zwei Stunden warten. Der Bahnhof war ein stattliches Gebäude, sah aber ziemlich heruntergekommen aus. Es verkehrten nur drei Züge pro Tag in jede Richtung.

Als Verkehrsknotenpunkt erhielt dieser Ort seine Bedeutung vor allem dadurch, dass sich unmittelbar daneben zwei Autobahnen kreuzten und alle Autos, die von einer Autobahn auf die andere wechseln mussten, im Kreisverkehr um den Bahnhofvorplatz fuhren. Ab und zu hielt ein Fernbus und spuckte ein paar Reisende aus, die sogleich in Privatautos stiegen und wieder wegfuhren.

Auch ich wäre am liebsten möglichst schnell geflüchtet. Doch der Fahrplan zwang mich, an diesem trostlosen Ort auszuharren. Ich sah inmitten des Kreisverkehrs einen herrenlosen Hund. Die meiste Zeit sass er einfach da und schaute den vorbeifahrenden Autos nach. Manchmal erhob er sich und bellte ein Fahrzeug an. Hatte er von dessen Lenker vielleicht schon mal etwas zu essen bekommen?

Der Hund sah nicht besonders schön aus. Sein Fell war schmutzig. Und doch gab er als Wächter über den vorbeibrausenden Verkehr diesem Ort Würde.

Drei Tage später fuhr ich bei meiner Rückreise nochmals mit dem Bus an diesem Bahnhof vorbei. Es war frühmorgens und noch dunkel. Für ein paar Sekunden konnte ich durch die Fensterscheibe den Hund nochmals sehen. Da merkte ich, dass ich schon die ganze Zeit bei der Fahrt insgeheim auf diesen Moment gehofft hatte, denn schon allein die Anwesenheit dieses Hundes liess für mich diesen Ort nicht mehr so trostlos erscheinen.