Heiliger Zorn
Das Gefühl der Wut kenne ich: wenn dieses Feuer im Inneren aufsteigt und sich die Wahrnehmung verengt, wenn sich die Muskeln anspannen und ein Drang entsteht, etwas zu packen, zu schütteln, zu schlagen. Meistens ist Wut unerwünscht, sie gilt als Gegenteil der Tugend des Gleichmuts, als Laster oder sogar als Todsünde. Kann an diesem Gefühl irgendetwas Heiliges sein?
Wut und Zorn erlebe ich angesichts von Ungerechtigkeit, ein innerer Aufschrei der Empörung. Der Zorn packt mich auch, wenn das missachtet, missbraucht oder misshandelt wird, was mir besonders wichtig und bedeutsam ist. Die Sache ist mir heilig, so wird es auch meine Emotion. Im Zustand des heiligen Zorns wurden allerdings schon viele Grausamkeiten verübt.
Zorn war für Jesus ein vertrautes Gefühl. Er verspürte es, als Fromme meinten, er dürfe am Sabbat nicht heilen (Mk 3), und als er Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertrieb (Joh 2). Wut zeigt sich in seinen Worten, wenn er Theologen seiner Zeit als «Heuchler» oder «Schlangenbrut» bezeichnet (Mt 23), wenn er die Misshandlung von Kindern oder Schwachen anprangert und sagt, für den Täter «wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde.» (Mt 18)
Wut ist eine starke Lebensenergie, die Jesu kannte und respektierte. Glaubenseifer, heiliger Zorn und Macht können viel in Bewegung bringen. Zugleich stehen sie in der Gefahr, blind zu werden für das Menschliche und das Heilsame. Jesus wusste das. Es war sein brennendes Anliegen, dass die Berufung auf die Autorität Gottes nicht mehr missbraucht wird, um Menschen das Leben schwer zu machen, sie auszunutzen, zu erniedrigen oder gar zu zerstören. Daraufhin will ich meinen heiligen Zorn immer wieder überprüfen.