Herrlichkeit mit Wunden
Wer hat sie nicht schon gesehen, die Darstellung der Auferstehung Jesu von Matthias Grünewald? Aber das Bild zeigt mehr als nur die Auferstehung, es ist auch ein Himmelfahrtsbild. Dieser Jesus entsteigt nicht einfach nur dem Grab, sondern er entschwebt der Erde, berührt sie gar nicht mehr, ist schon eingetaucht in unwirkliches Licht einer anderen Seins-Sphäre. Die Konturen seines Kopfes verfliessen mit dieser überirdischen Existenz. Und sein Leichentuch, unten noch weiss, verwandelt sich in ein intensiv leuchtendes Lichtgewand.
Genauso intensiv aber leuchten rot an Händen und Füssen die Wundmale der Kreuzigung. Jesus versteckt sie nicht. Im Gegenteil, er streckt sie uns entgegen. Als wolle er sagen: «Das gehört jetzt zu mir, auch in der Himmelsherrlichkeit.»
Eine verrückte Aussage: Jesus, der den Tod überwindet und bei Gott ist, bleibt vom irdischen Leben gezeichnet, trägt die Zeichen des Todes mit sich. Er wird nicht weltfremd, sondern bleibt weltbezogen. Das Irdische mitsamt dem Leiden ist nicht verloren gegangen, sondern gehört auch in den Himmel. Aber wenn der Mensch Jesus im Himmel nicht weltfremd ist, dann können wir Erdlinge auch glauben, dass unsere irdische Existenz nicht himmelsfremd ist.
Mit dem Pfingstfest, das bevorsteht, drückt der christliche Glaube dies aus: Der Himmel vergisst uns nicht, die göttliche Sphäre bleibt mit der irdischen verbunden. Es weht ein Geist, der Wunden kennt.
Abb: Matthias Grünewald, Auferstehung, Isenheimer Altar, Polyptychon, 1512, Musée Unterlinden, Colmar, Frankreich.