Ich lüge gerade
Sprache ist etwas Faszinierendes. Wenn ich sage „Ich lüge gerade“, dann stimmt das entweder, womit ich aber nicht lüge, sondern die Wahrheit sage, oder die Aussage, dass ich lüge, stimmt nicht. Dann sage ich aber die Wahrheit, und genau das bestreite ich doch.
Und eigentlich tue ich die ganze Zeit nichts anderes, als eine sehr beschränkte Anzahl von Zeichen – Buchstaben genannt – auf verschiedene Weisen zusammenzusetzen. Diese Zusammensetzungen – Worte – haben Bedeutungen, auf die wir uns in unserem Zusammenleben geeinigt haben.
Wie man aber an den Beispielen merkt, sind Worte und die Dinge, die sie benennen, nie dasselbe. Das zeigt sich etwa auch an dem Satz „Dies ist ein Krebs.“ Was meint dieser Satz? Ein Tier? Oder meint er einen Tumor in einem Körper?
Das Christentum ist eine Wortreligion. Wir beziehen uns auf die Worte der Bibel und sagen, diese sei das Wort Gottes. Deshalb ist es immer neu wichtig, über Sprache nachzudenken.
Es gibt z.B. die Ansicht, die Bibel sei wortwörtlich von Gott inspiriert. Sie sei deshalb unverrückbare Wahrheit. Selbst wenn es so wäre, was wäre damit gewonnen? Es hiesse nur, dass Gott sich mit der Sprache ein Medium gewählt hat, das vielschichtig und mehrdeutig ist und uns keine eindeutige Wahrheit vermittelt.
Dass Gott sich im Wort offenbart, ist eine Einladung, sich immer neu mit diesem Wort auseinanderzusetzen, mit andern nach seinen möglichen Bedeutungen zu suchen und sich einzugestehen, dass wir in menschlich-unzulänglicher Weise um das Geheimnis Gottes kreisen.
Abb: Bibel, Steve Buissinne, Pixabay. https://pixabay.com/de/photos/offenes-buch-bibel-schrift-981405/