Ich werde sterben
Vor Jahren habe ich die Videoarbeit des chinesischen Künstlers Yang Zhenzhong mit diesem Titel gesehen. Zhenzhong hat Menschen in verschiedenen Teilen der Welt und unterschiedlichen Alters gebeten, diesen einzigen Satz in ihrer Sprache in die Kamera zu sprechen: „Ich werde sterben.“
So steht man als Betrachter vor einer Monitorwand, sieht Gesichter und hört die Aussage wieder und wieder: „Ich werde sterben.“
Da gibt es Menschen, die sichtlich bewegt sind, ältere, die es in grosser Abgeklärtheit sagen, andere, die danach sehr nachdenklich in die Kamera blicken. Und Kinder, die kichern müssen.
Man wird von dem Werk deshalb so berührt, weil einen/eine das Gezeigte unmittelbar betrifft. „Auch ich könnte das sagen.“ Und man merkt, dass wir Menschen damit über alle Grenzen von Herkunft, Kultur und Sprache universell verbunden sind. „Ich werde sterben“ – eine der ganz wenigen allgemein gültigen Wahrheiten, in drei Wörtern ausgedrückt!
„Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir ein weises Herz gewinnen.“
So betet jemand im Psalm 90 zu Gott. Wenn ich weiss, dass ich sterben werde, ist jeder Tag ein wertvolles Geschenk. „Tage zählen“ ist hier nicht wörtlich zu verstehen. Gemeint ist vielmehr, im Wissen um die Endlichkeit jeden Tag zu würdigen und möglichst bewusst zu gestalten.
Kurz nach Allerheiligen und Allerseelen und vor dem Totensonntag ist es gut, sich solcher Dinge zu besinnen. Denn, ja: Ich werde sterben.
Abb: Memento Mori, Grabmal der Familie Eduard Bartling (1845-1927), Bildhauer: Ernst Herter, Nordfriedhof Wiesbaden.
Foto: Martin Kraft, http://photo.martinkraft.com/. License: CC BY-SA 4.0. Wikimedia Commons