Im Gefühl

Bild von Thomas Wolter, Pixabay

Es gibt in mir einen Raum, der mir nur noch in der Erinnerung zugänglich ist. Ich bin früher mehrmals in der Woche bis täglich zum Joggen gegangen. Ich schreibe von früher, weil ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr joggen kann. Die Erinnerung daran ist aber sehr gegenwärtig, weil ich mich beim Joggen ganz und gar lebendig gefühlt habe. Ich bin losgelaufen, wenn ich Lust dazu hatte. Beim Laufen habe ich mich ganz an meinem Gefühl orientiert: Bei der Route, beim Tempo, bei der Länge der Strecke, die ich gelaufen bin, habe ich ganz auf meinen Körper gehört, ganz auf mich. Es war mein Atemrhythmus, meine Kraft, meine Geschwindigkeit, meine Müdigkeit, meine Arme und Beine, die sich bewegen, mein Schweiss der tropft, meine Gedanken, mein eingebunden Sein in alles, was mich umgeben hat, wie der Regen auf meinen Haaren, die Sonne, die durch die Bäume leuchtet, der federnde Waldboden unter meinen Füssen. Ohne Ziel und Muss habe ich alles wahrgenommen und mich ganz und gar gespürt.

Heute hilft mir diese Erinnerung, wenn ich daheim auf dem Crosstrainer «laufe». Dort habe ich direkt vor meiner Nase ein Display mit Anzeigen für mein Tempo, meine Herzfrequenz, meinen Kalorienverbrauch, die Länge der Strecke, die ich gelaufen bin. Alles Aufforderungen mich ständig zu kontrollieren, mich anzupassen, schneller, besser, schlanker, gesünder zu werden.
Ich habe mich entschieden die Anzeige nicht abzudecken, was mein erster Impuls war, sondern sie auszublenden, in meine Erinnerungen zu gehen, auch auf dem Gerät auf mein Gefühl zu hören und das als Übung zu verstehen für den Alltag, damit keine 50%-Aktion, keine auffällig präsentierte Ware und keine Werbung sagen können, wer ich bin, was mir fehlt und was ich brauche, um glücklich zu sein.