Innere Zerreissprobe
Ich bin innerlich zerrissen. Mit den Veröffentlichungen rund um den sexuellen Missbrauch innerhalb der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz verstärkt sich dieses zermürbende und drückende Gefühl in mir um ein Vielfaches.
Da ist auf der einen Seite mein Selbstbild als emanzipierte Frau, die klare moralische Überzeugungen in sich trägt und mit ihrem Tun etwas Gutes bewirken möchte. Dort auf der anderen Seite ist die Institution, für die ich arbeite, in der Verantwortliche abscheuliche Taten nicht nur systematisch vertuscht, sondern es Tätern auch sehr leicht gemacht haben, ihr missbräuchliches Verhalten weiterzuführen. Mir wird schlecht, wenn ich nur daran denke, welches Leid die vielen unschuldigen Opfer erleben und durchleben mussten und müssen.
Mein erster Impuls ist es, angesichts der ungeheuerlichen Opferzahlen, die Kirche nun ein für allemal zu verlassen. Aber gleichzeitig hält mich doch noch etwas: die Überzeugung nämlich, dass Kirche etwas ganz anderes ist, als das, was viele Würdenträger und Verantwortliche aus ihr gemacht haben. Meine täglichen Erlebnisse in der Bahnhofkirche kommen dem sehr nahe, was Kirche mir bedeutet. Kirche ist für mich ein Ort, an dem sich Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen auf Augenhöhe begegnen können – so wie es Jesus vorgelebt hat -, oder an dem sie einfach auch nur sein können, um Kraft zu tanken. Kirche ist für mich ein Ort, an dem Menschen Respekt erfahren, ihre Hoffnung und ihren Glauben teilen können und wo sie Hilfe in Not finden.
Ob es sich lohnt, für diese Überzeugung weiter zu kämpfen? Ich weiss es nicht. Noch aber bin ich nicht bereit, das Feld denjenigen zu überlassen, die für diesen Scherbenhaufen verantwortlich sind.