Ins Weite
Es ist unfassbar, was das Leben manchen Menschen zumutet: Krieg, die verheerende Zerstörungswut eines Hurrikans, den Suizid eines angehörigen Menschen, lange Krankheiten…
Sätze aus dem Psalm 66 gehen mir nahe, weil sie solchen Zumutungen in den Sprachbildern des Ersten Testaments Ausdruck verleihen:
«Denn du hast uns geprüft, Gott, hast uns geläutert, wie man Silber läutert. Du hast uns ins Netz geraten lassen, hast drückende Last auf unsere Hüften gelegt. Du hast Menschen über unser Haupt dahinfahren lassen, durch Feuer und Wasser sind wir gegangen, aber du hast uns herausgeführt zu reichem Überfluss.»
Prüfung, Läuterung, drückende Last, Feuer und Wasser… Bilder für Leidenserfahrungen – aber auch Deutungen solcher Erfahrungen.
Ob es Gott ist, der/die uns so etwas auferlegt? Der Text legt das nahe. Aus einem heutigen Glaubensverständnis würde man wohl eher sagen: Offensichtlich lässt Gott es geschehen.
Mit dem letzten Halbsatz geschieht eine Wende. Das trotzige «Aber» setzt dem Leiden etwas anderes gegenüber: Befreiung, Leben in Fülle. In einer anderen Übersetzung heisst es: «Aber du hast uns herausgeführt ins Weite.» Weite steht für Überblick, Freiheit, Luft zum Atmen.

Wenn ich das lese, denke ich an Menschen, die mit Leiden fertig geworden sind, die gelernt haben, mit dem Unabänderlichen weiterzuleben. Die einen Neuanfang geschafft haben.
Ist es Gott, der/die sie dabei geführt hat? Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Sie haben die Kraft erhalten, dorthin zu gelangen. Einige unter ihnen würden sagen: «Gott hat sie mir gegeben.»
Abb: Ostfriesische Landschaft bei Minsen, 2020. Foto: Rhetos. Wikimedia Commons