Irrsinn
Ein Märchen aus dem Orient regt zum Nachdenken an. Es geht so:
«In einer abgelegenen Stadt am Rande der Wüste hatte ein bösartiger Zauberer auf der Durchreise den einzigen Brunnen vergiftet. Alle Einwohnerinnen und Einwohner tranken daraus und alle wurden verrückt. Sie verhielten sich fortan völlig unvernünftig, hielten ihren neuen Zustand aber für ganz normal.
Ein weiser Gelehrter aus dieser Stadt war zu der Zeit mit seiner Familie auf einer Reise. Als er heimkam, fand er schnell heraus, dass der Brunnen verseucht war. Er rief die Bürger auf dem Marktplatz zusammen und sprach zu Ihnen: ‹Ihr Frauen und Männer, vergiftetes Wasser hat euch um den Verstand gebracht. Hört auf, dieses Wasser zu trinken. Schütten wir den Brunnen zu und graben wir einen neuen.› Doch die Leute riefen: ‹Lass uns in Ruhe! Du bist doch total verrückt geworden.› Und sie vertrieben ihn mit seinen Angehörigen aus der Stadt.
Die Familie des Gelehrten flüchtete in die Berge. Nach einiger Zeit aber hatten die Kinder das kärgliche Leben satt und schlugen vor: ‹Kommt, wir gehen zurück in die Stadt und trinken auch aus dem Brunnen. So entgehen wir wenigstens diesem elenden Dasein.› Sie kehrten heim, tranken das Wasser und lebten fortan verrückt aber zufrieden unter ihresgleichen in der Wüstenstadt.»
Mancherlei Vergiftungserscheinungen entdecke ich auch in unserer Zivilisation. Die Giftstoffe haben Namen wie «Mehr haben müssen», «Besser sein müssen», «Keine Schwäche zeigen dürfen» und noch manche andere. Sie bewirken, dass die Menschlichkeit unter uns schwindet. Wird es uns gelingen, andere, gesündere Quellen zu finden, um daraus zu schöpfen?