Konfirmation mit Erschütterung

«Wir waren bereit. In einer Reihe standen wir vor der noch verschlossenen Tür. Ich zuvorderst. Die Spannung war fast nicht auszuhalten. Dann ging die Tür auf, ich betrat die Kirche und die Orgel begann zu spielen. Ihr gewaltiges Brausen füllte den Raum. Die Leute standen auf, als wir durch den Mittelgang nach vorne gingen. Ich hatte Hühnerhaut, zitterte. Ich war einfach überwältigt.»

Die Frau ist weit über neunzig. Aber jetzt, wo sie von ihrer Konfirmation erzählt, ist die Gewalt dieses Ereignisses immer noch zu spüren. Vierzehn war sie damals. An der Schwelle zum Erwachsenwerden. Und in dem kleinen deutschen Dorf auf dem Lande war nicht viel los. Ein feierlicher Konfirmationsgottesdienst war ein einzigartiges Erlebnis, herausgehoben aus dem Alltag. Im Mittelpunkt der Dorfgemeinschaft zu stehen, hatten die jungen Menschen noch nie erlebt. Konzerte gab es nur selten, so dass die festliche Orgelmusik schlicht berauschend war. 

Als Pfarrer heute frage ich mich, ob solche Erfahrungen bei kirchlichen Feiern überhaupt noch möglich sind.
Wie kann der Übergang ins Erwachsenenalter, wie kann etwas vom Unergründlichen und Unfassbaren des Göttlichen inszeniert werden, dass es derart unmittelbar berührt, wie die Frau es schildert?
Wie gelingt das in einer Zeit, in der eine Konfirmation ein Anlass neben unzähligen anderen Events ist, die man oft genug konsumiert wie ein gutes Sandwich?

Ich weiss es nicht, und vielleicht geht es einfach nicht mehr, weil wir in einer anderen Zeit leben.
Aber irgendwie beneide ich die alte Frau, die von einem kirchlichen Fest noch so erschüttert werden konnte.

Abb: Konfirmandin vor der Dorfkirche, Hilbersdorf bei Freiberg/Sa, 09.04.1933. Fotograf unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons