Krummes Holz – Aufrechter Gang

Im Anschluss an das Weg-Wort von vorgestern (14.05.), das sich mit Blick auf die Feierlichkeiten rund um das Ende des 2. Weltkrieges leicht verzweifelt mit der gegenwärtigen, von Kriegen und Zerstörung, von Hass-, Schmäh- und Lügenrede, von verbaler und brachialer Gewalt beherrschten Weltlage befasste, mute ich Ihnen heute noch einmal starken Tubak zu. Denn es ist jetzt nicht die Zeit wegzuschauen, den Kopf in den Sand zu stecken, Hässliches schönzureden, Unerträgliches zu relativieren oder die Geschehnisse mit billigen esoterischen oder spirituellen Klimmzügen als gott- oder schicksalsgewollt zu erklären. Deshalb noch einmal ein Blick auf die letzten Tage der NS-Barbarei.
Um Beweismaterial für die Gräueltaten des Hitlerregimes und seiner willfährigen Schlächter in Händen zu haben, haben Filmteams der Siegermächte im Frühjahr 1945 das jede Beschreibung übersteigende Grauen in den Vernichtungslagern festgehalten. Als die Amerikaner nach der Befreiung des KZ Buchenwald die Weimarer Bevölkerung zwangen, den Ort des Verbrechens aufzusuchen, an den bis auf die Knochen abgemagerten, seelisch tief traumatisierten Überlebenden, anschliessend an den auf Karren und Stapeln aufgetürmten Leichenbergen und zuletzt an den Verbrennungsöfen vorbeizugehen und hinzuschauen, meinte eine Frau: «So etwas tun Deutsche nicht»! Ein irrer Mix aus Selbstschutz und Verblendung. So redet, wer sich blind stellt, so stiehlt sich aus der Verantwortung, wer weder die Abgründe der eigenen noch diejenigen der Volksseele kennen will.
Trotz der erdrückenden Beweislage gibt es heute im Weimarer Stadt- und im thüringischen Landrat eine Reihe von AfD Abgeordneten, die den Holocaust leugnen, ihn relativieren oder mit den Worten Alexander Gaulands als «ein Fliegenschiss in der 1000-jährigen Erfolgsgeschichte Deutschlands» bezeichnen.
Als der grosse Immanuel Kant, Verfechter der unantastbaren Menschenwürde und Verkünder universell gültiger ethischer Maximen 250 Jahre vor dem Fall seines Landes in die totale Barbarei, seine Anthropologie verfasste, definierte er den Menschen nüchtern als ein «Krummes Holz», das mit mehr oder weniger Erfolg den aufrechten Gang sucht. Mögen wir diesen finden. Die Zeit drängt!
Bildquelle: Wikipedia «Auf dem Weg zum aufrechten Gang»