Lebensfreundliche Ordnung

Kunst und Religion haben die Gemeinsamkeit, dass sie die Gemüter erregen. Vielleicht liegt es daran, dass sowohl ästhetisches Empfinden als auch Glaubensüberzeugungen eng mit der eigenen Identität verbunden sind. In diesem Zusammenhang kann Abweichendes schnell einmal als Störung oder sogar als Bedrohung wahrgenommen werden. Ein Beispiel aus der näheren Vergangenheit passierte auf der Ufenau, der Insel im Zürichsee.

Im Sommer 2022 zeigte der Künstler Harald Naegeli dort seinen «Bilderzyklus der Vergänglichkeit» in der Kapelle St. Martin. Allerdings beliess es der Grafikkünstler nicht bei seinen Zeichnungen, sondern schlich sich während eines Medienrundgangs fort und besprayte das Beinhaus der Pfarrkirche Peter und Paul mit zwei Totentanzfiguren. Kunst oder Verschandelung? Die Meinungen gingen weit auseinander.

Harald Naegelis Totentanz auf der Ufenau. Foto von Georg Mühlebach

Als Sprayer von Zürich wurde Harald Naegeli bekannt, als er seit den 70er Jahren aus Protest gegen die Unwirtlichkeit der Städte und der Architektur seine Strichfiguren an Wände und Mauern sprayte. Von den Einen wurde er als Sachbeschädiger verdammt, von Anderen als Künstler gefeiert.

Wie immer man zu dieser Kunst stehen mag, sie weist auf etwas Wichtiges hin: Das Bemühen um Ordnung kann ein Mass annehmen, das lebensfeindlich wird. Das betrifft städtebauliche und gesellschaftliche Regelungen genauso wie religiöse Gebote. Auf Letzteres wies Jesus von Nazaret hin, der einmal gesagt hat: «Der Sabbat [der religiöse Ruhetag] wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat.» Gestalten wir gemeinsam eine lebensfreundliche Welt für alle Menschen und Lebewesen, anstatt die eigenen Vorstellung davon, wie es sein soll, unnachgiebig durchzusetzen!