Nach Gerechtigkeit lechzen
O Heiland, reiss die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiss ab vom Himmel Tor und Tür,
reiss ab, wo Schloss und Riegel für.
In der Adventszeit hat dieses Lied wieder Saison, genauso wie die Rorate-Andachten, die in vielen Kirchen frühmorgens im Kerzenschein gefeiert werden. Die Bezeichnung «Rorate» sowie die weiteren Strophen des Lieds beziehen sich auf einen Text aus dem Buch des Propheten Jesaja, der lautet: «Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit spriessen. Ich, der Ewige, erschaffe es.» (45,8)
Den Text des Adventslieds hat der Jesuit Friedrich Spee im Jahr 1622 verfasst. Er hatte allen Grund für solch ein Flehen, denn er musste als Seelsorger miterleben, wie Menschen – vor allem nicht angepasste Frauen – ohne stichhaltige Gründe der Hexerei bezichtigt und in einen gnadenlosen Prozess zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden. Spee wusste aus eigener Anschauung um das Leid, welches der Hexenwahn verursachte. Er verfasste das Buch «Cautio Criminalis» und leistete damit einen wesentlichen Beitrag zur Beendigung der Hexenverfolgungen. Wie ausgetrockneter Boden nach Tau lechzt, so sehnte sich der Jesuit in einer verblendeten Gesellschaft nach Gerechtigkeit für die unschuldig Angeklagten, und sein Mut, das Unrecht zu benennen, hat eine Wende gebracht.
Trotz allen Fortschritts gibt es in Sachen Gerechtigkeit auch heute viel zu tun. Die ständige mediale Präsenz des Schreckens kann abstumpfend wirken. Da tut die Entrüstung, das drängende Flehen und der Mut des Friedrich Spee gut. Lassen wir uns von ihm inspirieren, wenn wir im Advent sein Lied singen!